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Die Instabilität politischer Institutionen

Zwei Originalvorträge von Arnold Gehlen und Niklas Luhmann

Autor: Arnold Gehlen / Niklas Luhmann
Sprecher: Arnold Gehlen / Niklas Luhmann
ca. 58 Minuten

Arnold Gehlen, * 29. Januar 1904 in Leipzig, † 30. Januar 1976 in Hamburg, war Philosoph und Soziologe. 1924 -1927 Studium der Philosophie, Philologie, Germanistik, Psychologie in Leipzig und Köln; Professur in Leipzig, Königsberg und Wien; 1941 Einberufung in die Wehrmacht, am Kriegsende schwere Verwundung; 1947 nach Entnazifizierung Professur in Speyer, ab 1962 an der Technischen Hochschule Aachen. Gehlen ist wegen seiner Haltung im Nationalsozialismus kritisiert worden. Als Nachfolger Paul Tillichs hat er von dessen Entlassung profitiert. Gehlen war neben Max Scheler und Helmuth Plessner Vertreter der Kulturanthropologie. Die Weltoffenheit und damit Instinktentbundenheit macht den Menschen zu einem Mängelwesen. Durch Schaffung von Institutionen werden diese Defizite kompensiert. Gehlens Konservativismus rührt von dieser Position her: Je unbefragter die Geltung von Institutionen akzeptiert wird, desto sicherer kann das Mängelwesen Mensch sein Leben bestreiten. In den sechziger Jahren ist Gehlen als Gegenspieler der Frankfurter Schule auf den Plan getreten.

Niklas Luhmann, * Lüneburg 8. Dezember 1927, † Oerlinghausen 6. November 1998 war Rechts- und Sozialwissenschaftler; 1946-49 Studium der Rechtswissenschaft in Freiburg; 1961/62 Fortbildungsstipendium für die Harvard University, dort Bekanntschaft mit Talcot Parsons' Funktionalismus; 1968-93 Professur für Soziologie in Bielefeld; Luhmann ist der deutsche Vertreter der strukturell-funktionalen Systemtheorie. Sie untergliedert Gesellschaft in Systeme und Subsysteme, deren ausdifferenzierte funktionale Leistungen füreinander sich zu einem komplexen Netz sozialer Bezüge verweben.

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1 | Arnold Gehlen: Die Institutionen und die Probleme der Ethik

Sendung: 15.11.1964 - Aufnahmeort: Freiburg, Universität - Laufzeit: 28:48
Regie: Bahlinger - Redaktion: Ralf Caspary

Inhalt: Der Kulturanthropologie stellt sich Ethik als ein mehrgliederiges System dar, eine Ethik aus einem Guss existiert nicht. Die verschiedenen Schichtungen des ethischen Systems beruhen auf unterster Ebene auf instinktnahen Impulsen, die basale Sozialregulationen leisten und ohne vorherige Verständigung funktionieren. Die Verhaltensforschung hat solche moralanalogen Reaktionsweisen an Tieren studiert und festgestellt, dass Mitglieder eines geselligen Verbands dadurch den Schutz der Gruppe genießen. Beim Menschen allerdings wirken solche naturalen Regulationen nicht ausreichend sicher, Instinktresiduen werden kulturell überformt oder sie geraten in Konkurrenz zu anderen Reflexen, wie z.B. der der Nothilfe mit dem Selbsterhaltungstrieb. Die Geltung dieser offenbar gefährdeten Eingriffe wird daher durch Institutionalisierung abgesichert. Damit wird ein Prozess in Gang gesetzt, in dessen Gefolge die affektive Grundlage der Ethik "das Mitleid, die enthusiastische Improvisation" rationalen und sachbezogenen Orientierungsmustern weicht. Das anarchistische Charisma ist nicht mehr notwendiger Bestandteil der Ethik. Der Mensch, so lässt sich dieser Gedankengang zusammenfassen, ist von Natur aus ethisch keineswegs mittellos, aber instabil. Kultur besteht darin, der Wirklichkeit Dauer abzuringen, und eben dies verbürgen ihre Institutionen. In Institutionen muss sich der ethische Enthusiasmus zwangsläufig verändern. Eine Differenzierung findet statt, die Entwicklung einer spezifischen Eigenethik entsprechend der institutionellen Aufgabenstellung.

2 | Niklas Luhmann, Das Unbehagen an der Politik, der Staat und die moderne Gesellschaft

Sendung: 10.06.1993, Redaktion: Ralf Caspary - Laufzeit: 29:13

Inhalt: Niklas Luhmann beleuchtet in einem skizzenartigen historischen Abriss die Entwicklung des mehr als 500 Jahre alten Staatsbegriffs. Eigentümlich ist, dass unter derselben Bezeichnung ganz unterschiedliche Zustände gefasst sind, so als wolle man keine Diskontinuität markieren. Es geht Luhmann nicht um einen Wesensbegriff des Staates, sondern um die Funktion von Politik. Jedem politischen Text, pax et iustitia, Wohlfahrtsstaat z.B., wohnt eine Zeitlang historische Glaubwürdigkeit inne. Um 1500 meint Staat (status, state) in erster Linie Kontrolle der physischen Gewalt auf einem bestimmten Territorium. Damit einher geht die Entwicklung des Rechts, iurisdictio, Recht zu sprechen und die Ausnahmen definieren, wann es gebrochen werden darf. Im 17. Jahrhundert leitet der beginnende Merkantilismus eine neue Phase ein. Glückseligkeit zu garantieren ist Aufgabe des Staats, eine Wohlfahrtspolitik zu betreiben, nach der jeder sich in seinem Rahmen entfalten darf. Ende des 18.Jahrhunderts setzt eine funktionale Differenzierung ein, nach der der Staat erstmals nicht mehr als alles umgreifendes Gebilde gesehen wird, sondern als Teilphänomen neben der Gesellschaft. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt sich der moderne Staat, der diese Differenzierung fortsetzt: Neben staatlichen Organisationen entstehen die politischen Parteien, die aus der Sphäre privater Interessen in das öffentliche Handeln einzugreifen versuchen. Weitere Interessensgruppen, wie Gewerkschaft, Lobby etc. Ihr Handeln zeichnet aus, dass es eben gerade nicht  wie staatliches  kollektiv bindend ist. Fragt man, was heute die Probleme sind, die neue politische Texte erzeugen könnten, so ergibt sich dreierlei: Zunahme von Gewalt, das Auseinanderziehen von Entscheidungsrisiken und Achtsamkeitsforderung für Betroffene: das Entscheiden für andere. Schließlich Entwicklung der Politik als Weltgesellschaftssystem, die den Staat zur Organisation internationaler Kommunikation macht.

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