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Warum wir auf Philosophie nicht verzichten können

Zwei Originalvorträge von Karl Jaspers und Ernst Bloch

Autor: Karl Jaspers / Ernst Bloch
Sprecher: Karl Jaspers / Ernst Bloch
ca. 60 Minuten

Karl Jaspers, * Oldenburg, 23. Februar 1883, † Basel 26. Februar 1969, war Philosoph und Psychiater, der ab 1967 Schweizer Staatsbürger wurde. Studium der Rechtswissenschaft, später Medizin in Berlin, Göttingen und Heidelberg; danach Volontärassistent an der psychiatrischen Klinik in Heidelberg, ab 1916 außerordentlicher Professor für Psychologie in Heidelberg, ab 1920 für Philosophie; unter dem Nationalsozialismus erhielt er 1937 Lehrverbot, weil seine Ehefrau Gertrud Mayer Jüdin war; nach Kriegsende wieder Professor in Heidelberg. Wegen seiner Kritik an der Haltung der Deutschen während der NS-Zeit wurde Jaspers angegriffen. Enttäuscht verließ er Deutschland und war 1948-61 Professor für Philosophie in Basel. Jaspers erhielt 1958 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Jaspers ist ein Vertreter der Existenzphilosophie. Die Philosophie ist von der Wissenschaft deutlich geschieden, sie ist Existenzerhellung, weil sie sich nicht nur methodisch exakt mit ihrem Gegenstandsbereich befasst, sondern auch das "Umgreifende" der Subjekt-Objekt-Spaltung zu ihrem Thema macht.

Ernst Bloch, *Ludwigshafen am Rhein 8. Juli 1885, † Tübingen 4. August 1977; war Philosoph. Nach dem Studium der Philosophie, Musik und Physik in Würzburg und München freier Schriftsteller in Berlin; 1933-48 im Exil (ab 1938 in den USA), anschließend Lehrstuhl für Philosophie in Leipzig; 1955 Nationalpreis der DDR. Blochs Verständnis eines undoktrinären, freiheitlichen Sozialismus brachte ihn in die Kritik der SED. 1957 Zwangsemeritierung, 1961 Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland; Gastprofessur in Tübingen; 1967 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Der Kern von Blochs Philosophie ist die Kategorie Hoffnung, etwas "Noch-nicht-Bewusstes", das sich in Träumen, Utopien und künstlerischen Hervorbringungen äußert. Es ist kein leeres Spekulieren, sondern im Gewand der alten Welt ein Vorgriff auf eine bessere.

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1 | Karl Jaspers: Wahrheit und Wissenschaft

Sendung: 23.10.1960, SWF - Aufnahmeort: Radio Beromünster, Studio Basel - Laufzeit: 30:08
Regie: Kleist - Aufnahmeleitung: Meiser - Redaktion: Ralf Caspary

Inhalt: 500 Jahre Universität Basel bieten Anlass, nach dem Verhältnis von Wahrheit und Wissenschaft zu fragen. Die moderne Wissenschaft entfaltet sich im Abendland. Ihr Erkenntnisgang ist methodisch und kritisch, denn auch ihre Verfahren sind immer wieder einer Prüfung zu unterziehen. Sie ist sich nicht nur ihres Wissens, sondern auch ihrer Unwissenheit gewiss. Wissenschaftliche Erkenntnisse erlangen Allgemeingültigkeit in dem Sinne, dass jeder sie nachvollziehen können muss. Ein neues Muster ist damit etabliert: Die griechische Philosophie begriff den Kosmos noch als vernünftigen ganzen. Die Realität war kein Thema für sie. Heute existiert kein gültiges Weltbild mehr, die Wissenschaft hat entlang ihrer Disziplinen eine Partikularisierung vorgenommen. In ihrem Drang nach Erkenntnis ist Wissenschaft grenzenlos. Urbild dieses Drangs ist Odysseus, der über die Grenzen der Welt hinaus segelt, um das Dahinterliegende kennen zu lernen. Erkenntnis gibt es in dreierlei Weise: erkennen, um machen zu können, dies begründet die Naturwissenschaft. Selbsterkenntnis der menschlichen Hervorbringungen leitet die Geschichte an. Erzeugen eines inneren Handelns ist Philosophie. In jedem Bereich gibt es jedoch typische Verzerrungen, die einem Machtwillen folgen: Er verführt in der Technik zur Haltung vollständiger Machbarkeit. In der Soziologie wirkt er als Versuch einer Totalplanung von Geschichte. In der Philosophie verwandelt er Seelenlenkung und Führung in diktatorische Psychoanalyse. Wissenschaftliche Wahrheit erschöpft sich in Richtigkeit, die keinen Sprung zur Transzendenz erlaubt. Die Sacherkenntnis wird nie Seinserkenntnis, sie formuliert keine Ziele und keinen Sinn. Das bleibt der Philosophie vorbehalten.

2 | Ernst Bloch: Ideologie und Utopie - die Welt von morgen

Sendung: 19.03.1969 - Aufnahmeort: Studio Tübingen - Laufzeit: 29:50
Regie: A. Schiler - Redaktion: Ralf Caspary

Inhalt: Die Utopie steht im Zentrum der Überlegungen. Man sagt, etwas sei zu schön, um wahr zu sein, und meint, dass der Schein nicht mit der Realität zu vereinen sei. Beim Schein handelt es sich um Deckvorstellungen im Sinne Freuds, um eine Zensur des eigentlich Gewünschten. Freud durchbricht ihn mit einer Analyse, die in die Tiefe dringt und das Verdrängte aufhebt. Was steckt dahinter? Wenn der Schein nicht nur individueller Betrug ist, tritt er kollektiv, als klassengebundene Ideologie auf. Verdeckt wird ein partikulares Interesse, das gegen ein öffentliches steht. Marx hat sich durch ökonomische Analyse als Ideologiekritiker hervorgetan. Ideologie ist seiner Ansicht nach mehr als Lüge, sie wird im Überbau objektive gesellschaftliche Realität. Auch Kultur gehört dieser Sphäre an, hat jedoch etwas Zwiespältiges, denn sie entwickelt einen Überschuss, der mehr als die Rechtfertigung des Gegenwärtigen bedeutet. Dieser Überschuss besteht in etwas den jeweiligen Realitäten Vorausgreifendem, einem utopischen Gehalt, in dem das Kommende vorbezeichnet ist. Marx hat das so formuliert, dass es der historischen Situation kein Ideal aufzuzwingen gilt, sondern dass sie von dem entbunden werden muss, womit sie ohnehin schon schwanger geht. Utopien müssen vermittelt sein, das Fernziel in Nahziele, so wie Sprossen an einer Leiter. Es ist an der Philosophie, Begriff in die Utopie zu bringen, sie wird so zum Generalstab konkreter Erwartung.

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