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Buddhismus, Islam und andere große Religionen

Originalvorträge - Karl Jaspers, Wilhelm Gundert u. a.

Autor: Gustav Mensching, Helmuth von Glasenapp, Wilhelm Gundert, Olaf Hansen, Hans Joachim Schoeps, Rudi Paret, Karl Jaspers
Sprecher: Gustav Mensching, Helmuth von Glasenapp, Wilhelm Gundert, Olaf Hansen, Hans Joachim Schoeps, Rudi Paret, Karl Jaspers
ca. 184 Minuten

Das Basispaket zum Verständnis fremder Religionen. Versammelt sind die maßgeblichen und für das 20. Jahrhundert auf deutschsprachigem Gebiet meinungsbildenden Persönlichkeiten der Religionswissenschaften. Es sprechen Referenten, die den Ruf ihrer Fachrichtung mitbegründet haben, wie z. B. Wilhelm Gundert, der Cousin Hermann Hesses, dem „Siddhartha“ gewidmet wurde, oder Rudi Paret, dessen Koranübersetzung heute noch Standard ist.

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CD 1 | Gustav Mensching - Das Wesen der Religion


Sendung: 14. 3. 1954, SDR Aufnahmeort: Bonn
Aufnahmeleitung: Johannes Schlemmer Laufzeit: 23:00

Inhalt: Die allgemeinste Definition von Religion lautet, dass es sich um eine Erscheinung handelt, die mit einer überirdischen Wirklichkeit zu tun hat. Religion ist erlebnishafte Begegnung des Menschen mit dem Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen. Sie ist demnach weder eine Art vorwissenschaftliche Welterklärung noch eine Form theologisch sanktionierter Moral, vielmehr handelt es sich um eine überirdische Erfahrung innerhalb der Welt irdischer Erscheinungen, denn das Heilige begegnet dem Menschen durch sinnliche Erfahrung. Rudolf Otto stellte 1917 zum ersten Mal die Frage, worin denn das eigentümliche Wesen des Heiligen liegt. Was also meinen religiöse Menschen in aller Welt, wenn sie davon sprechen, dem Heiligen begegnet zu sein? Otto stellt fest, dass das Heilige das Numinose ist, das sich nicht mit rationalen Begriffen beschreiben lässt. Das Numinose ist das grundsätzlich Andere, ein Stück Welt, an dem Unweltliches erfahren wird. Religion ist eine Lebensform und keine Denkform oder spekulative fantastische Vorstellungsform. Dabei schließt dieses religiöse Handeln den Ritus, die religiöse Kunst und die Welt des Sittlichen mit ein.
Die soziologisch-positivistische These, nach der Religion dem sozialen Elend entspringt, ist empirisch leicht zu widerlegen, da viele Religionen inmitten von Reichtum entstanden. Die Theorie, nach der Gottheiten als Personifizierungen von Naturgewalten entstanden, greift ebenfalls zu kurz, da der Mensch dem Heiligen in den Naturkräften zwar begegnet, er die Naturerscheinungen jedoch als Symbol eines Gottes begreift, nicht jedoch als Gott selbst. Auch die These, dass Religion durch den Selbsterhaltungstrieb entstand, der das Jenseits erfand, greift nicht, da es viele Religionen gibt, die keinerlei Interesse an persönlicher Unsterblichkeit haben. Die Entstehung der Religion durch Furcht oder Erfahrung des Wunders verwechselt hingegen Ursache und Wirkung, da zuerst die Dämonen entstanden, dann die Dämonenfurcht, erst das Wunderbare, dann die Entwicklung der Naturgesetze. Erst das erlaubt überhaupt die Kategorie des Wunderbaren, das die Naturgesetze Durchbrechende.

CD 1 | Helmuth von Glasenapp - Der Hinduismus


Sendung: 12. 05. 1954, SDR Regie und Aufnahmeleitung: Johannes Schlemmer
Laufzeit: 24:52

Inhalt: Der Hinduismus ist mit seinen zurzeit (2008) etwa 900 Millionen Anhängern die nach Christentum und Islam drittgrößte Religionsgemeinschaft. Im Gegensatz zu Christentum und Islam ist der Hinduismus nur bei den Angehörigen eines bestimmten Volkes verbreitet, wie man schon an dem Wort Hindu sehen kann, das wie der Begriff Inder auf den Namen des Flusses Indus zurückzuführen ist. Bis heute ist der Hinduismus hauptsächlich in Indien vertreten, wo ihm 82 Prozent der Bevölkerung angehören. Der Hinduismus unterscheidet sich von allen anderen Religionen jedoch auch dadurch, dass er keine bestimmten Lehren über Gott, Seele, Weltschöpfung und Erlösung anbietet. Vielmehr ist der Hinduismus eine Ansammlung disparater Glaubensformen. Die gemeinsame Grundlage des Hinduismus liegt in der Gesellschaftsordnung, denn ein Hindu glaubt nicht an bestimmte Lehren, sondern gehört einer von den Hindus anerkannten Kaste an. Deshalb ist der Hinduismus auch keine missionierende Religion, da ein Individuum nur von Geburt einer Kaste angehören und nicht in sie aufgenommen werden kann. Das Hauptcharakteristikum einer Kaste, von denen es zwischen zwei- und dreitausend gibt, besteht vor allem darin, dass die Mitglieder einer Kaste nur untereinander heiraten dürfen. Das Kastensystem ist in Indien 3000 Jahre alt und beruht auf der Lehre vom Karma: Das Schicksal eines Menschen wird durch Taten in einer früheren Existenz bestimmt, in seinem gegenwärtigen Handeln ist er jedoch frei. Wer in seinem jetzigen Leben Gutes tut, wird in einer höheren Kaste oder als göttliches Wesen wiedergeboren, begeht er Böses, steht ihm eine Wiedergeburt in einer niedrigen Kaste oder als Tier bevor. Während der Weltprozess in beständiger Gesetzmäßigkeit weitergeht, ist es einzelnen Menschen möglich, sich aus diesem Kreislauf zu lösen. Die Hindus glauben an eine unübersehbare Zahl überirdischer Wesen. Das Pantheon der Hindus ist so groß, weil es die Anschauungen sehr verschiedener Bildungsschichten widerspiegelt. Auch die Götter sind sterblich und werden wiedergeboren, mit Ausnahme eines einzigen Gottes, der nicht dem Karma unterliegt. Dieser Gott ist für die einen Vishnu, für die anderen Shiva und existiert seit dem Ursprung der Welt zusammen mit ihr, weil er den Weltprozess als automatisch funktionierendes Gesetz der moralischen Vergeltung in Gang hält.

CD 2 | Wilhelm Gundert - Der Buddhismus


Sendung: 19. 5. 1954, SDR Regie und Aufnahmeleitung: Johannes Schlemmer
Laufzeit: 30:32

Inhalt: Der historische Buddha, Gautama Shakyamuni, war neunundzwanzig Jahre alt, als er seine Familie verließ, um einen Ausweg aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten zu suchen. Sieben Jahre verbrachte er bei den verschiedensten Lehrern und schlug den Weg der Askese ein, bis er erkannte, dass es einen anderen Weg, einen mittleren Weg, geben musste, der zur Befreiung führt. Schließlich erfuhr er während der Meditation unter dem Bodhi-Baum die „Vier edlen Wahrheiten“ vom Leiden, seinem Ursprung, seiner Überwindung und dem Weg dorthin, dem „Achtfachen Pfad“ der rechten Lebensweise. Bis zu seinem achtzigsten Lebensjahr lebte der Buddha als Bettelmönch und gab seine Erkenntnis von der Auflösung des Leidens bis zu seinem Tod im Jahre 486 v. Chr. an die ihm nachfolgenden Mönche und ihm begegnenden Menschen weiter. Von Indien aus verbreitete sich der Buddhismus zuerst nach Ceylon, Thailand, China, Korea, Japan und Tibet und nahm in den jeweiligen Regionen seine spezifische Gestalt an, wobei sich in Asien vor allem die Vorstellung des Mahayana, des großen Fahrzeugs, entwickelte. Die erste Bemühung buddhistischen Denkens gilt der Entwertung des Samsara, des ewigen Kreislaufs des Lebens. Dabei besteht der Zeitablauf dieses Weltprozesses aus buddhistischer Sicht aus einer anfangslosen Folge ungezählter einzelner Momente, deren Auftreten und Inhalt von dem Gesetz des Karma bestimmt wird. In diesem beständigen Erscheinen und Vergehen gibt es kein Ich oder Selbst im Sinn einer freien, unvergänglichen und unteilbaren Einheit. Das, was wir als Ich erfahren, ist eine beständig wechselnde Zusammenballung verschiedener körperlicher und geistiger Elemente. Der Glaube an die Existenz eines souveränen Ichs hält den Prozess des Karma in Bewegung, da das Festhalten am Mein, Mir und Mich die Wurzel allen Leidens ist. Das Erlöschen des Leidens heißt Nirwana. Im Nirwana allein findet sich Ruhe und Frieden, es ist das Ende des ewigen Kreislaufs, das ganz Andere des Lebens, das sich deshalb auch nicht in Worte fassen lässt. Im Nirwana sind Begierde Hass und Verblendung erloschen, weshalb ein unermüdliches Ringen um Reinheit des sittlichen Wandels eine erste Voraussetzung zur Erlangung des Nirwana ist. Genauso wichtig ist jedoch die Versenkung, die, ähnlich wie dem Christen das Gebet, die Grundlage buddhistischer Frömmigkeit ist.

CD 2 | Olaf Hansen - Der Parsismus


Sendung: 2. 6. 1954, SDR Regie und Aufnahmeleitung: Johannes Schlemmer
Laufzeit: 19:23

Inhalt: Die meisten der etwa 150.000 (2008) Anhänger des Parsismus leben in Indien. Zoroastrismus, Zarathustrismus und Mazdaismus sind andere Bezeichnungen, die auf den Religionsstifter Zarathustra verweisen, der zu Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. lebte. Die Hauptquelle des Parsismus sind die Avesta, eine Sammlung heiliger Schriften, in der die göttlichen Offenbarungen niedergelegt sind. Zur Zeit des Zarathustra hatte sich die Lehre innerhalb Persiens kaum verbreitet. Im 3. Jahrhundert n. Chr. wurde der Parsismus bis zur Einführung des Islam im 7. Jahrhundert allerdings Staatsreligion. Nach seiner Lehre ist der höchste Gott Ahuramazda. Er ist allwissend und Schöpfer aller guten Dinge, vor allem des Lichts. Er ist von einer Schar engelähnlicher Geschöpfe, den Ameschaspentas, umgeben, die seine Befehle ausführen und Personifikationen abstrakter Begriffe sind. Neben den Ameschaspentas gibt es eine weitere Gruppe göttlicher Wesen, die Yazantas oder „Verehrungswürdigen“. Am Beginn der Schöpfung stehen sich zwei Urgeister gegenüber: der „Gute Geist“ des ewigen Lichts, Ahuramazda, und der „Böse Geist“ der ewigen Finsternis, Ahriman. Zwischen Licht und Finsternis besteht ein leerer Raum, in dem die beiden Geister aufeinanderstoßen und gegeneinander kämpfen. Ahuramazda erschafft zuerst eine immaterielle, dann eine sichtbare mit Menschen und Tieren bevölkerte Welt, der Ahriman eine große Schar von Dämonen und bösen Geistern entgegensetzt. Mit diesen Helfern verbreitet Ahriman das Böse auf der Erde und bedroht die Schöpfung Ahuramazdas. Dieser kann Ahriman jedoch schließlich bezwingen und in die Hölle unterhalb der Erde verbannen. Um einen erneuten Angriff abzuwehren, wird der Himmel mit einer Mauer umgeben, während aus dem Samen des von Ahriman getöteten Urmenschen und Urstiers die Tier- und Menschenwelt aufs Neue ersteht. Dies ist die letzte Periode, die mit der Erscheinung Zarathustras beginnt und mit der Auferstehung der Toten und dem endgültigen Triumph Ahuramazdas über Ahriman endet. Der Mensch ist ein Geschöpf Ahuramazdas und gehört daher zum Bereich des Guten, für das er sich jedoch in freier Wahl aussprechen muss.

CD 2 | Hans Joachim Schoeps - Das Judentum


Sendung: 9. 6. 1954, SDR Regie und Aufnahmeleitung: Johannes Schlemmer
Laufzeit: 28:53

Inhalt: Das Judentum ist weder eine bloße Konfession, noch eine Rasse oder moderne Nation. Vielmehr hat es in einem schwer definierbaren Dazwischen Platz, für das es keine Analogien gibt. Am ehesten ließe sich sagen, dass es sich beim Judentum um eine Religionsgemeinde mit einem einheitlichen biologischen Abstammungszentrum handelt, dessen geschichtlicher Auftrag es ist, Gottes Herrschaft über die Welt zu bezeugen. Gegründet wurde diese Gemeinschaft durch ein Bündnis der israelitischen Stämme. Der Bundesschluss bedeutete die Anerkennung des Schöpfers als Gott Israels und umgekehrt die Anerkennung Israels durch Gott. Diese Auserwählung Israels zum Bundesvolk ist in der Thora niedergelegt, deren Verkündigung als Grundgesetz des Volkes nach der Rückkehr des Stammes Juda aus dem babylonischen Exil (ca. 450 v. Chr.) erfolgte. Das Judentum glaubt an die Einzigkeit Gottes, der als Herrscher über Mensch und Welt bildlos im Geist angebetet wird. Der Mensch besitzt die Freiheit, das Gute zu tun oder zu sündigen, wodurch er durch den ihm eingeborenen Hang zum Bösen, jedoch nicht durch eine Erbsünde verleitet wird. Die guten und bösen Taten werden im Jenseits vergolten, und mit dem Anbruch des messianischen Zeitalters wird das Böse im Menschen gänzlich ausgerottet und ewiger Frieden wird herrschen. Deshalb lehnt das Judentum den christlichen Glauben ab, nach dem die Erlösung schon vollzogen ist. Als oberster sittlicher Wert gelten die Gerechtigkeit und die Pflichten gegenüber Gott und den Mitmenschen. Die Anwendung dieser in der Bibel zuerst dargelegten Pflichten wurde im Talmud, der zwischen 200 v. und 500 n. Chr. entstand, genauer ausgeführt. Im Talmud finden sich die Diskussionen rabbinischer Gelehrter zu den verschiedensten Themen des Glaubens und der Lehre. Hier finden sich auch detaillierte Vorschriften und Gebote, die für alle vorkommenden oder denkbaren Situationen des Lebens gelten. Daneben spielt die Mystik im jüdischen Glauben eine große Rolle. Sie spiegelt, wie in anderen Religionen auch, eine Seinserfahrung wider, welche die Subjekt-Objekt-Spaltung der intellektuellen Erkenntnis hinter sich gelassen hat. Unter dem Namen Kabbala, d. h. Überlieferung älterer Tradition, hat sich die jüdische Mystik als geistige Bewegung im 13. Jahrhundert von Spanien und Südfrankreich aus verbreitet. Ziel der Kabbala ist die geistige Erkenntnis der letzten Verborgenheiten, um dadurch zur unio mystica des Menschen mit Gott zu gelangen.

CD 3 | Rudi Paret - Der Islam


Sendung: 16. 6. 1954, SDR Regie und Aufnahmeleitung: Johannes Schlemmer
Laufzeit: 28:05

Inhalt: Von den großen nichtchristlichen Religionen steht der Islam seiner Entstehungszeit nach (zwischen 610 und 632 n. Chr.) an letzter Stelle und entstand somit, als das Altertum endete und das Mittelalter seinen Anfang nahm. Zu dieser Zeit war christliches und jüdisches Gedankengut über die verschiedensten Kanäle in die arabische Welt eingeströmt, weshalb im Islam, der ja eine eigenständige Religion ist, christliche und jüdische Vorstellungen einen breiten Raum einnehmen. So wird im Koran über die Erschaffung des ersten Menschen, die Vertreibung aus dem Paradies, von Noah, Abraham und Joseph, aber auch von Jesus Christus berichtet. Auch werden Vorstellungen vertreten, die aus der jüdisch-christlichen Überlieferung vertraut sind, etwa die von einem Schöpfer und Erhalter der Welt, oder die eines allgemeinen Endgerichts, nach dem die Sünder in die Hölle und die Frommen in das Paradies eingehen. Mohammed erhielt aus Judentum und Christentum entscheidende Anregungen und war anfänglich sogar der Überzeugung, die ihm übertragene Verkündigung stimme inhaltlich mit den Heiligen Schriften der Juden und Christen überein. Der Islam kann deshalb als Schwesterreligion des Judentums und Christentums bezeichnet werden, da er beide nicht nur als gegeben, sondern auch als in sich berechtigt voraussetzt. Die Daseinsberechtigung im göttlichen Heilsplan erhielt der Prophet Mohammed durch den Auftrag, diejenigen Menschen für seine Heilsbotschaft zu gewinnen, zu denen die jüdische und christliche Verkündigung noch nicht vorgedrungen war. Im Kampf gegen das altarabische Heidentum vertrat Mohammed vor allem die Idee, dass es nur einen Gott, den Schöpfer und Erhalter der Welt, gibt. Diese Verkündigung war nur schwer durchzusetzen, sodass der Prophet anfänglich auf große Ablehnung stieß. War Mohammed ursprünglich von der Voraussetzung ausgegangen, dass der Inhalt seiner Verkündigung mit dem der beiden Schwesterreligionen identisch ist, so musste er schon bald feststellen, dass man umgekehrt auf jüdischer Seite seine Ansichten nicht teilte, sodass es zum offenen Bruch zwischen den Religionen kam und Mohammed gewisse Änderungen einführte, wie etwa das Fasten im Monat Ramadan und die Orientierung nach Mekka.

CD 3 | Karl Jaspers - Die nichtchristlichen Religionen und das Abendland


Sendung: 23. 6. 1954, SDR Aufnahmeort: Basel
Regie und Aufnahmeleitung: Johannes Schlemmer Laufzeit: 28:38

Inhalt: Als Europa im 12. Jahrhundert durch die Kreuzzüge zusammen mit dem Islam die edle Menschlichkeit, große Kunst und lehrreiche Philosophie des Orients kennenlernte, wurden verschiedene bis dahin unbekannte Fragen aufgeworfen: Gibt es in Bezug auf den Glauben mehrere Wahrheiten oder nur eine? Existiert nur eine Wahrheit, ist es dann die eigene, während alle anderen einem Irrglauben unterliegen? Existieren hingegen mehrere Wahrheiten, ist dann die eigene Wahrheit verloren? Oder gibt es nur eine Wahrheit, die sich in den unterschiedlichen Religionen in verschiedenen Kleidern präsentiert, wie es Nikolaus Cusanus formulierte. Mit diesen bis heute nicht einmütig beantworteten Fragen verband sich eine zweite Fragengruppe, die auf das Problem der Toleranz zielte und herausfinden wollte, ob man den eigenen Glauben Andersgläubigen zumuten kann und ob eine Verkündigung des Glaubens nur gewaltlos, ohne Beanspruchung weltlicher Mächte, oder auch mit Hilfe von Gewalt erfolgen darf. Erst nach diesen Erfahrungen des Glaubens, seiner Ausbreitung, des Kämpfens mit Gewalt und der langsam folgenden Durchsetzung von Toleranz machte das Abendland Bekanntschaft mit den asiatischen Religionen, die, wie überhaupt die meisten Religionen, ihrer Natur nach tolerant sind. Nur eine einzige Gruppe von Religionen, die biblisch fundierten, erhebt aufgrund der von ihnen geglaubten Offenbarung den Anspruch auf die ausschließliche Wahrheit ihrer eigenen Religion, während alle anderen Glaubensrichtungen als falsch oder allenfalls als Vorstufe dieser einzigen Wahrheit gelten. Diese im biblischen Grund wurzelnden Religionen sind nicht nur die christlichen und die jüdische, sondern auch der Islam. Der Grundunterschied liegt also nicht zwischen Christentum und nichtchristlichen Religionen, sondern zwischen der Gruppe der Ausschließlichkeitsreligionen auf dem Boden biblischen Glaubens und allen anderen Religionen. Das abendländische Christentum ist nicht nur mit den Religionskriegen zwischen den Konfessionen, sondern auch mit dem Antisemitismus belastet. Selbst Luther forderte in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“, dass man die Synagogen mit Feuer anstecke, die Häuser der Juden niederreiße und zerstöre, den Rabbinern verbiete, weiter zu lehren, und vieles mehr. Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern. Die christliche Welt schließt diesen Gegensatz in sich: die tödliche Feindschaft aus dem Ausschließlichkeitsanspruch und die dem Menschen zugewandte Liebe.

Editorial: Die vorliegenden Tondokumente sind ein gutes halbes Jahrhundert alt und stammen damit aus einer Zeit, in der die unter dem Begriff der „nichtchristlichen Religionen“ zusammengefassten Glaubenslehren noch den Nimbus des Exotischen und Entlegenen besaßen. Die Vertreibung des Dalai Lama aus Tibet stand genauso bevor wie die Entdeckung des Hinduismus durch die Hippies, die schicksalhafte Begegnung des Islams mit dem Westen oder die ersten unzureichenden Versuche einer Reintegrierung des Judentums in die bundesrepublikanische Gesellschaft. Doch sind die hier versammelten Vorträge alles andere als antiquiert, da sie den Grundstock unserer heutigen Kenntnis anderer Religionen und Kulturen bilden.
Versammelt sind die maßgeblichen und für das 20. Jahrhundert auf deutschsprachigem Gebiet meinungsbildenden Persönlichkeiten der Religionswissenschaften. So ist die Koran-Übersetzung von Paret noch heute die meistgelesene, ist Glasenapps Einführung „Die fünf Weltreligionen“ immer noch ein Standardwerk, hat Wilhelm Gundert die bislang einzige Übersetzung des „Bi Yän Lu“ ins Deutsche vorgelegt und gilt Gerhard Mensching als entscheidender Wegbereiter der Religionswissenschaften in Deutschland. Allerdings verraten die Beiträge eine je unterschiedliche Nähe zum behandelten Gegenstand: Während Glasenapp den Hinduismus in analytischer Präzision herausarbeitet, wird in der legendarisch geprägten Darstellung Wilhelm Gunderts eine historische Rezeption des Buddhismus offenkundig, die sich wie der „Siddhartha“ seines Cousins Hermann Hesse einer westlichen Sicht verdankt.
Darüber hinaus gebührt dem Umstand Beachtung, dass die Mehrzahl der hier versammelten Referenten auch während des Nationalsozialismus lehrte. Die fälschlicherweise oft schon als überholt angesehene Auseinandersetzung mit der Rolle der Lehre im Dritten Reich ist noch lange nicht abgeschlossen und erfährt eine immer wieder neue und weiter ausdifferenzierte Behandlung, sodass sich auch diese Tondokumente einer kritischen Analyse stellen müssen, um der Frage auf die Spur zu kommen, inwieweit politische Haltung und Lehre aufeinander einwirkten und sich gegenseitig beeinflussten. Vom fachlichen Gesichtspunkt meist sachlich und oft noch aktuell, dokumentieren diese Aufnahmen damit gleichzeitig den Beginn der bundesdeutschen Demokratie mit ihren Widersprüchlichkeiten zwischen Neubeginn und dem Erbe einer selbst zu verantwortenden Historie.

© Produktionen des Südwestrundfunks 1954/2008
Bookletredaktion: Frank Witzel
© Quartino GmbH, München 2008