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Eichmann - Von der Banalität des Bösen

Hannah Arendt, Karl Jaspers - Originalgespräche

Autor: Hannah Arendt, Karl Jaspers
Sprecher: Hannah Arendt, Karl Jaspers, Joachim C. Fest, François Bondy
ca. 60 Min.

Zurzeit werden die unwiderruflich letzten Prozesse gegen Nazikriegsverbrecher geführt. Täter und Opfer zählen nur noch wenige Überlebende, bald schon wird dieses Kapitel der Rechtsgeschichte abgeschlossen sein. Welcher Art waren die Täter und worin besteht die Legitimität gegen sie gerichtlich vorzugehen? In diesem historischen Moment sollte man sich noch einmal der Anfänge einer langen Auseinandersetzung vergewissern: Hannah Arendt (1906-1975) war als Berichterstatterin des Eichmann-Prozesses tätig und hat mit ihrer These von der Banalität des Bösen den bisher schlüssigsten Ansatz zum Verständnis der Täter geliefert. In einem langen Gespräch mit Joachim C. Fest interpretiert sie ihr Buch. Mit Karl Jaspers (1883-1969), ihrem Lehrer, hat Arendt zugleich eine enge Freundschaft verbunden. Der einflussreiche Philosoph gehört zu denen, die auch zu Zeiten des Nationalsozialismus eine makellose Biografie bewahrt haben. Im Gespräch mit François Bondy legt er seine Auffassung zum damals beginnenden Eichmann-Prozess dar. Ein rares Tondokument zu einem bedeutenden Thema, das die Ansichten beider erstmalig versammelt!

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Aus der Rezension in der Neuen Zürcher Zeitung
vom 1. April 2011:

Die «Banalität dieses Verbrechens» meint nicht Alltäglichkeit in dem Sinn, dass in jedem ein Eichmann sässe, sie bezeichnet vielmehr eine spezielle Dummheit [. . .], die vom Schicksal der anderen unberührt bleibt». Zum echten Hördokument wird dieser dichte Dialog durch die vitale Lebendigkeit, mit welcher Arendt ihre Argumente bekräftigt. Mit Aplomb schlägt sie auf den Tisch, lässt die Kaffeetassen tanzen, Zigaretten werden angezündet. In dieser Intensität ist dergleichen selten zu hören.
Den ganzen Artikel «Eichmann revisited» finden Sie auf NZZOnline


1 | Karl Jaspers: Zum Prozess Eichmann


Gespräch mit François Bondy
Sendung: 20.04.1961, SWF Laufzeit: 24:54

Inhalt: Der Prozess erregt großes Aufsehen in der Weltöffentlichkeit. Es herrscht Befriedigung darüber vor, dass die außergewöhnliche Festnahme geglückt ist und Naziverbrechen geahndet werden können. Die deutsche Sorge, die Vergangenheit werde wieder aufgerührt, ist unwürdig. Problematisch sind juristische Unlösbarkeiten völkerrechtlicher Art. Verbrechen eines Staates sind bislang nirgendwo gefasst. Auch die Kategorie Kriegsverbrechen greift nicht, denn bei diesem läge ein Verstoß gegen die Menschlichkeit im Rahmen von Kriegshandlungen vor. Der Versuch einer massenhaften Auslöschung lässt sich nur als Verbrechen gegen die gesamte Menschheit begreifen. Hierfür ist kein nationales Gericht, sondern eine noch zu bestimmende, übergeordnete Instanz zuständig. Ideal wäre, den Prozess in aller Sorgfalt zu führen, die Vollstreckung des Urteils jedoch jener Instanz zu überlassen. Anderenfalls müsste Israel die Todesstrafe aussprechen, was es in Misskredit brächte. Eine Nicht-Vollstreckung würde moralisch gesehen mehr bewirken.


Kurzbiographien


Karl Jaspers, * Oldenburg 23. Februar 1883, † Basel 26. Februar 1969, war Philosoph und Psychiater, der ab 1967 Bürger von Basel (Schweiz) wurde. Unter dem Nationalsozialismus wurde er seiner Professur enthoben und mit einem Publikationsverbot belegt.

Karl Adolf Eichmann,* Solingen 19. März 1906, † Ramla, Israel 31. Mai, war SS-Obersturmbannführer, war die zentrale Figur für die Deportation der Juden und mitverantwortlich für die Ermordung von Millionen Menschen. 1960 wurde er von israelischen Agenten in Argentinien entführt und nach Israel gebracht, wo ihm der Prozess gemacht wurde. Zwei Jahre später wurde er zum Tode verurteilt und hingerichtet.


2 | Hannah Arendt: Eichmann oder Von der Banalität des Bösen


Gespräch mit Joachim C. Fest
Sendung: 09.11.1964, SWF Laufzeit: 49:48

Inhalt: Der Eichmann-Prozess hat zu einer ganzen Reihe weiterer Festnahmen von Naziverbrecher geführt. In Eichmann ist ein neuer Verbrechertypus mit dem Motiv aufgetaucht, Teil des damaligen Wir zu sein. Durch Mitmachen entsteht Macht, die sich im Zusammen-Handeln ausdrückt. An Eichmann ist diese Lust am reinen Funktionieren zu beobachten, er ist ein Funktionär ohne Ideologie. Die Dämonisierung der Täter erweist sich als Alibi, Eichmann hat seine Aufgabe als Bewährung begriffen. Banalität dieses Verbrechens meint nicht Alltäglichkeit in dem Sinne, dass in jedem ein Eichmann säße, sie bezeichnet vielmehr eine spezielle Dummheit, eine Haltung ohne Tiefe und Dämonie, die vom Schicksal der anderen unberührt bleibt. Sich auf Pflichterfüllung im kantianischen Sinne zu berufen, ist falsch, denn seinem Handeln fehlt der kategorische Imperativ. Auffällig ist, dass keiner der vor Gericht stehenden Täter sich je als verantwortlich bekannt hat. Es hat in allen Schichten der Bevölkerung die Möglichkeit gegeben, nicht wir, sondern ich zu sagen. Dennoch, so schlimm die Mitwisserschaft auch sein mag, sie ist mit der Täterschaft nicht zu vergleichen. Zwar steht der Verwaltungs-Massenmord als Delikt nicht in den Gesetzbüchern, entscheidend ist jedoch, durch Sühne die die gestörte Ordnung wieder herzustellen und den Geschädigten damit Ehre und Würde zurückzugeben.

Kurzbiographie


Hannah Arendt, * Hannover-Linden 14. Oktober 1906, † New York 4. Dezember war eine jüdische, deutsch-amerikanische Publizistin und Gelehrte. 1961 nimmt Hannah Arendt als Beobachterin für die Zeitschrift New Yorker am Eichmann-Prozess in Jerusalem teil. Zwei Jahre später erscheinen ihre Berichte über den Prozess in Buchform


© Produktionen des Südwestrundfunks 1961/1964/2010
Bookletredaktion: Frank Witzel
© Quartino GmbH 2010