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Meine Gespräche mit Schriftstellern 1974–1977

Originaltonaufnahmen

Autor: Heinz Ludwig Arnold
Sprecher: Günter Grass • Max Frisch • Friedrich Dürrenmatt • Walter Jens • Günter Wallraff • Peter Handke • Rolf Hochhuth • Christa Wolf • Gerhard Zwerenz • Peter Rühmkorf • Franz Xaver Kroetz
ca. 22 Stunden

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Aus der Rezension in der Süddeutschen Zeitung
vom 18. Oktober 2011:

"Literaturbetriebskunde, Werkstattbericht, poetologische Reflexionen und autobiographische Exkursionen – all dies entlockt Arnold seinen Autoren. Wer die Literaturgeschichte nach 1945 kennenlernen möchte, wer wissen will, wer mit wem paktiert und gegen wen intrigiert hat, welche Debatten eine Rolle spielten, welche Programme im Angebot waren, wie das Verhältnis von Poesie, Gesellschaft und Politik sich gestaltete, der muss diese Gespräche hören."
Ein Resumée der Rezension «Und dann und wann ein knisterndes Geräusch» finden Sie im perlentaucher

 

Neue Zürcher Zeitung
vom 29. Oktober 2011:

"Nicht zuletzt zeugen diese Aufnahmen von einer fabelhaften Gesprächskultur ... Sie sind für den Hörer ein intellektueller Genuss, eine vergnügliche Unterhaltung und ein enormer Gewinn zugleich."
Die komplette Rezension «Eine Literaturgeschichte in Gesprächen» finden Sie in der NZZ

 

Deutschlandradio Kultur
vom 3. November 2011:

"Sehr gut und unnachahmlich in seiner Hingabe an Literatur war Heinz Ludwig Arnolds Wirken für eine komplette Schriftstellergeneration. Dass einer seinen Geist ganz in den Dienst anderer, nicht eben uneitler Geister stellt, ist heute kaum mehr vorstellbar. Er würde sich mit den Beschriebenen und Befragten messen wollen, denn Eckermannsche Demut passt einfach nicht in den lauten, schnellen Betrieb unserer Tage. Mit Heinz Ludwig Arnold hat sich eine singuläre Chronistengestalt verabschiedet."
Die komplette Rezension «Insistierende Chronistengestalt» finden Sie bei dradio.de

 

DIE ZEIT
vom 17. November 2011:

"Womöglich aber ist der größte Schatz, den er (scil. Heinz Ludwig Arnold) hinterlassen hat, akustischer Natur: Seine häufig fortgesetzten und stundenlangen Gespräche mit Schriftstellern (...) hat er kurz vor seinem Tod noch zusammengestellt und auf drei mp3-CDs veröffentlicht: 65 großartige Stunden deutscher Literaturgeschichte."

 

FAZ
vom 10. Dezember 2011:

"Arnold selbst trägt immer neu Begeisterung und Offenheit in die Gespräche, wirkt als Vermittler noch da, wo es gilt, Gewohnheiten über Bord zu werfen. Das ist noch aus Nebensätzen dieser einzigartigen Edition herauszuhören ..."


1 Günter Grass 2 10.9.1974


Dauer: 2:10:47
Vier Jahre nach meinem ersten Gespräch mit Günter Grass war ich erneut bei ihm in Friedenau zu Besuch. Wir sprechen über seinen mittlerweile etablierten Ruhm, der eine ganz neue Art von Widerständen hervorruft, da Grass nun bei seiner Arbeit den Gedanken an etwaige Ansprüche, die an ihn und sein Werk gestellt werden, überwinden muss. Erneut wird auch das Verhältnis zu Martin Walser thematisiert, das sich aktuell am Fall Solschenizyn neu erzündete, den Grass, obwohl er seine politische Haltung nicht teilt, gegen die Angriffe von Autoren der kommunistischen Parteilinie wie Walser und Kroetz verteidigt. Wir sprechen über Brüche und Differenzen zwischen den ehemaligen Kollegen innerhalb der Gruppe 47 und das erneute parteipolitische Engagement von Grass. Oft müssen wir pausieren oder gegen die über das Haus brausenden Flugzeuge in Friedenau anreden, um uns verständigen zu können.

2 Max Frisch 25./26.11.1974


Dauer: 3:34:32
Max Frisch habe ich zum ersten Mal im November 1974 in Zürich besucht. Wir hatten uns zum Essen in einem italienischen Restaurant verabredet. Ich wartete vor dem Lokal, und als ein Jaguar vorfuhr, war ich überrascht, dass ihm Max Frisch und seine Frau Marianne entstiegen – damit hatte ich nicht gerechnet, ich brachte in meiner Vorstellung den Autor Max Frisch mit einem Jaguar nicht in Verbindung. Er muss meine Verwunderung bemerkt haben, denn er begann zu grinsen und meinte mit Blick auf den Wagen: „Die Insignie des Zürcher Großbürgers – leider sehr reparaturanfällig.“ Über den Klatsch aus dem Literaturbetrieb und über gemeinsame Lektüren gewannen wir schnell Kontakt zueinander. Es wurde ein aufschlussreicher Abend in zunehmend lockerer Stimmung. Am anderen Morgen fuhr ich nach Küsnacht in den Birkenweg 8, wo Frisch damals wohnte. Sein Arbeitszimmer war geradezu spartanisch eingerichtet, nur wenige Bücher, kaum sortiert, ein einfacher Tisch zum Schreiben, ein Stuhl, schlichte Sessel, in denen wir einander gegenübersaßen, das Mikrofon zwischen uns auf einem Stuhl. Und immer wieder klatschte der heftige Regen gegen die Fensterscheiben.

Max Frisch, *15.5.1911 in Zürich, †4.4.1991 in Zürich, Schriftsteller und Architekt, mit Friedrich Dürrenmatt der bedeutendste Schweizer Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Bekannt geworden durch Stücke wie Biedermann und die Brandstifter (1958) und Andorra (1961), erforschte er in seinen Romanen die Möglichkeiten literarisierter Selbstdarstellung (Stiller, 1954; Mein Name sei Gantenbein, 1964), die er in seinen Tagebüchern (1946-1949) anlegte und (1966–1971) weiterführte. (Preise u.a. Georg-Büchner-Preis 1958; Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1976).


3 Friedrich Dürrenmatt 1 6./7.3.1975


Dauer: 3:31:26
Ich hatte Friedrich Dürrenmatt angeschrieben und von seiner Sekretärin einen Termin für ein Gespräch erhalten. Ich bereitete alles vor, dann kam ein paar Tage vor der Aufnahme die Absage. Der Grund war, dass seine Frau Lotti ins Krankenhaus musste. Nun war aber schon ein Sendetermin ausgedruckt. Ich habe dann noch einmal nachgefragt, ob das Gespräch nicht doch möglich wäre, und Dürrenmatt sagte: „Na, kommen Sie mal.“ Ich fuhr nach Neuchâtel, hatte aber das Datum verwechselt und war einen Tag zu früh dran. Als ich ankam, rief ich Dürrenmatt an, der sich wunderte, mich aber doch zu sich bat. Wir haben dann erst einmal Kaffee getrunken. Ich rauchte damals Pfeife und fragte, ob ich rauchen dürfe, worauf er hinausging und mit drei Pfeifen zurückkam, die er mir schenkte. Dann zeigte er mir seine Bilder, machte einen ersten Wein auf, und wir fingen an zu sprechen. Dieses Gespräch, unterbrochen von einem Abendessen, ging bis morgens um sechs. Dürrenmatt beschreibt seine Kindheit als ein Leben im Labyrinth, erst in der dörflichen Umgebung mit den Gängen durch die Felder, später das Leben im städtischen Labyrinth von Bern, und entwickelt eine ironische Literaturgeschichte, in der E.T.A. Hoffmann regiert und Don Quichotte weiß, dass er gegen Windmühlen kämpft. „Man kann nichts, als in diese Welt seine Gedanken hineinzuschießen wie Kanonenkugeln.“ In dieser Nacht wurden wir Freunde.

Friedrich Dürrenmatt, *5.1.1921 in Konolfingen, †14.12.1990 in Neuenburg, Schweizer Schriftsteller und Zeichner, mit Max Frisch der bedeutendste Schweizer Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Bekannt geworden durch seine Stücke Der Besuch der alten Dame (1956), Die Physiker (1962) und Der Meteor (1966), wandte er sich nach über zwanzig Arbeiten fürs Theater immer mehr der Prosa zu (Stoffe, 1981, als Labyrinth, 1984; Turmbau, 1990), nachdem er schon in den fünfziger Jahren einige erfolgreiche Kriminalromane veröffentlicht hatte (Der Richter und sein Henker, 1952; Der Verdacht, 1953; Das Versprechen, 1958). (Preise u.a. Buber-Rosenzweig Medaille 1977; Georg- Büchner-Preis 1986).

4 Günter Wallraff 1 18.3.1975


Dauer: 2:06:56
Mein erstes längeres Gespräch mit Günter Wallraff beginnt mit der Frage nach Einflüssen und Hintergründen seiner Arbeits- und Schreibweise. Wallraff berichtet über das Elternhaus, in dem zwei Welten aufeinander stießen. Er lebte mit seinen Eltern in einem Kölner Arbeitervorort: auf der einen Seite das Klaviergeschäft seiner Mutter, dann der Vater, unehelich geboren, Fließbandarbeiter bei Ford, dadurch gesundheitlich schwer angeschlagen. Während die Mutter zum Aufstieg animierte, sperrte sich der Vater dagegen. Aber auch auf dem Spielplatz erlebte Wallraff schon die Unterdrückung durch stärkere Gruppen, denen er sich als Einzelner in einer damals noch ohnmächtigen Wut entgegenwarf. Erstaunlicherweise beschreibt Wallraff sich als faul, identitätsschwach und sagt: “Manchmal habe ich den Eindruck, mich gibt es gar nicht. Erst durch die Reibungsflächen, die ich herstelle, komme ich zu einer Identität.“ So wurde seine besondere investigative Methode als Reporter geboren.

Günter Wallraff, *1.10.1942 in Burscheid, Schriftsteller und Journalist, Mitglied der Gruppe 61; nachdem er schon seine Zeit als Kriegsdienstverweigerer bei der Bundeswehr schriftlich festgehalten hatte, veröffentlichte er ab Mitte der sechziger Jahre Reportagen aus Bereichen der Arbeitswelt, in denen er selbst tätig war (Wir brauchen dich, 1966; Neue Reportagen, 1972). In verschiedenen Rollen, etwa als Alkoholiker in der Psychiatrie, Obdachloser oder Napalmlieferant deckte er soziale Missstände auf (13 unerwünschte Reportagen, 1969). Er wurde in Griechenland wegen seiner Proteste gegen das faschistische Regime verhaftet, schmuggelte sich als Reporter in die Bild-Zeitung (Der Aufmacher, 1977), lebte als Türke (Ganz unten, 1985) und schließlich als Somalier undercover in der BRD, um über alle diese angenommenen Existenzen zu berichten. (Preise u.a. Carl-von-Ossietzky-Medaille 1984; Literaturpreis der Menschenrechte 1985).

5 Peter Handke September 1975


Dauer: 1:50:39 Mit Peter Handke war ich am Vorabend unseres Gesprächs in Paris in einem Restaurant verabredet; bald entwickelte sich ein heftiger Streit, weil er alle Journalisten beschimpfte und auch mich attackierte und fragte: „Warum soll ich ausgerechnet zu Ihnen Vertrauen haben?“. Der Hintergrund war, dass ich 1973 ein TEXT + KRITIK-Heft über ihn gemacht hatte, das ziemlich kritisch ausgefallen war. Darauf habe ich gesagt: „Wissen Sie, Herr Handke, ich blase das Gespräch ab. Ich bin nicht hierher gekommen, um mich von Ihnen beschimpfen zu lassen.“ Da lenkte er ein. Merkwürdigerweise entstand aus dieser strittigen Lage heraus ein hochinteressantes Gespräch. Ich frage ihn nach seiner Haltung zum Schreiben und er antwortet, dass er zwar nicht für andere schreibe, aber dieses Verhältnis zu den anderen auszuloten versuche. „Die äußerste Oberfläche und das tiefste Verbohrte ist allen Menschen gleich, und nur dazwischen sind wir verschieden, weshalb ich mich mit der äußersten Oberfläche und der tiefsten Tiefe beschäftige.“

Peter Handke, *6.12.1943 in Griffen, österreichischer Schriftsteller, hatte Mitte der sechziger Jahre seinen Durchbruch mit Theaterstücken wie Publikumsbeschimpfung (1966), Kaspar (1968) oder Das Mündel will Vormund sein (1969), daneben schrieb er experimentelle Prosa (Die Hornissen, 1966; Begrüßung des Aufsichtsrats, 1967). Anfang der siebziger Jahre wandte er sich einer erzählenden Schreibform zu (Der kurze Brief zum langen Abschied, 1972) und veröffentlichte seitdem über fünfzig Romane, Erzählungen und Essays (Die Stunde der wahren Empfindung, 1975; Die Wiederholung, 1986; Nachmittag eines Schriftstellers, 1987; Die morawische Nacht, 2008). (Preise u.a. Georg-Büchner-Preis 1973; Franz-Kafka-Literaturpreis 2009).


6 Rolf Hochuth 1976


Dauer: 1:00:18 Anlässlich seines gerade erschienenen Theaterstücks Tod eines Jägers, ein Monolog, den Hochhuth Hemingway führen lässt, unterhalte ich mich mit ihm über die Veränderung in der Theaterwelt, die seine Stücke, mit Ausnahme der Hebamme, nicht mehr so begeistert spielt wie noch vor wenigen Jahren, und komme auf Hochhuths Feststellung zu sprechen, dass es in der literarischen Welt ähnlich zugehe wie in der Arbeitswelt, wo Fünfzigjährige bereits abgeschrieben seien. Die Theaterwelt entwickelt sich für Hochhuth parallel mit dem Buchhandel zu einer reinen Novitätenschau, in der alles obsolet werde, was älter als ein halbes Jahr ist. Hochhuth wehrt sich gegen den Vorwurf, den Helden wieder eingeführt zu haben. Wie schon bei Brecht, gegen den er oft fälschlicherweise positioniert werde, stehe auch bei ihm der Einzelne im Mittelpunkt.

Rolf Hochhuth, *1.4.1931 in Eschwege, Schriftsteller, veröffentlichte noch während seiner Zeit als Verlagslektor das Drama Der Stellvertreter (1963) über die Rolle von Papst Pius XII während der Nazizeit, das einen internationalen Skandal auslöste. Er schrieb seitdem über zwanzig Theaterstücke, die meist historische Themen wie den Bombenkrieg (Soldaten, 1967) oder aktuelle Probleme wie Massenentlassungen (McKinsey kommt, 2004) behandeln. (Preise u.a. Geschwister-Scholl-Preis 1980; Jacob-Burckhardt-Preis 1990).

7 Christa Wolf 1976


Dauer: 11:06
Christa Wolf besuchte uns 1976 zusammen mit ihrem Mann Gerhard in Göttingen. Sie hatte das gerade fertig gestellte Manuskript von Kindheitsmuster dabei, das sie mir zu lesen gab. Ich habe daraufhin dieses Kurzinterview mit ihr über das Buch für den Rundfunk gemacht. Leider hat sie sich einem längeren Gespräch immer wieder verweigert, was ich sehr bedauere. Vielleicht befürchtete sie, dass ich zu kritisch sein würde mit meinen Fragen. Sie war eben in der DDR und konnte nicht so frei reden, schon gar nicht für den Rundfunk. Andererseits hat es ihr wahrscheinlich widerstrebt, mit mir ein Scheingespräch zu führen.

Christa Wolf, *18.3.1929 in Landsberg, Schriftstellerin, Mitglied des Schriftstellerverbandes und der Akademie der Künste der DDR, beschreibt in ihren Romanen, Erzählungen und Novellen seit Anfang der sechziger Jahre oft anhand von Frauenfiguren den Alltag der DDR in der Spannung zwischen Privatem und Öffentlichem (Der geteilte Himmel, 1963; Nachdenken über Christa T., 1968), die eigene Kindheit im Nazi-Deutschland (Kindheitsmuster, 1976) und adaptierte historische und mythologische Stoffe (Kein Ort. Nirgends, 1979; Kassandra, 1983). (Preise u.a. Heinrich-Mann- Preis 1963; Georg-Büchner-Preis 1980).

8 Gerhard Zwerenz 15.9.1976


Dauer: 1:48:22
Das Gespräch mit Gerhard Zwerenz handelt vor allem von seiner Herkunft, der Kriegsgefangenschaft und der Zeit in der DDR. Zwerenz beschreibt die Verdrängung seiner Arbeiterherkunft während des „Dritten Reichs“ und deren Wiederentdeckung durch den zwanghaften Eintritt in die kommunistische Partei, die für ihn eine Art Vater-, Familien- und Heimatersatz wurde. Als er versuchte, die Partei für sich zu rationalisieren, tauchten Schwierigkeiten auf. Dadurch eher animiert, las und studierte Zwerenz weiter. Er suchte nach einer Antwort, die er nicht von außen annehmen, sondern selbst aus sich heraus entwickeln wollte. Dieses Fragen und Suchen führte ihn zum Studium bei Ernst Bloch und schließlich zum eigenen Schreiben.

Gerhard Zwerenz, *3.6.1925 in Gablenz, Schriftsteller, desertierte im Zweiten Weltkrieg zur Roten Armee, wurde Volkspolizist, studierte bei Ernst Bloch Philosophie, floh 1957 nach Westdeutschland. Er debütierte im Westen mit einer Schilderung des Aufstands vom 17. Juni (Die Liebe der toten Männer, 1959) und veröffentlichte eine Reihe sozialkritischer Bücher (Heldengedenktag, 1964; Kopf und Bauch, 1971; Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond, 1973). Später wandte er sich verstärkt dem Genre der Unterhaltungsliteratur zu und veröffentlichte eine Unzahl von Kriminal- und Erotikromanen. (Preise u.a. Carl-von-Ossietzky-Preis 1986; Alternativer-Georg-Büchner-Preis 1991).

9 Peter Rühmkorf 01 13.12.1976


Dauer: 1:15:23
Ich hatte im Herbst 1971 eine Rundfunkaufnahme beim WDR in Köln, und Peter Rühmkorf hatte am selben Tag auch eine Aufnahme dort, und so saßen wir zufällig, jeder mit seinen Begleitern vom Sender, beim Mittagessen in derselben Kneipe. Wir kannten uns damals noch nicht persönlich. Als die anderen nach Hause gingen und wir noch etwas im Glas hatten, haben wir uns zusammengesetzt und kamen sogleich auf ein uns verbindendes Thema: Die Sozialgeschichte der Kunst und Literatur von Arnold Hauser. Darüber haben wir ausführlich und lebhaft diskutiert. Wir haben uns dann noch über andere Bücher definiert und uns befreundet. Ein paar Jahre später war es dann auch an der Zeit, mit ihm eines meiner Porträtgespräche für den Rundfunk zu führen, das seine Herkunft, sein Werk und die Doppelheit seines politischen Engagements und der Unabhängigkeit seiner Dichtung erörtert.

Peter Rühmkorf, *25.10.1929 in Dortmund, † 8.6.2008 in Roseburg, Schriftsteller, war vor allem Lyriker, veröffentlichte daneben aber auch Essays zum Zeitgeschehen, teilweise unter einer Reihe von Pseudonymen. Neben seinen Gedichtbänden (u.a. Irdisches Vergnügen in g, 1959; Kunststücke, 1962; Phoenix – voran!, 1977; Haltbar bis Ende 1999, 1979) publizierte er die Autobiografie Die Jahre, die ihr kennt (1972) und in Walther von der Vogelweide, Klopstock und ich (1975) Variationen auf die genannten Dichter. Erfolgreich war auch seine Anthologie Über das Volksvermögen (1967). (Preise u.a. Arno-Schmidt-Preis 1986; Georg-Büchner-Preis 1993).

10 Franz Xaver Kroetz 9.2.1976


Dauer: 1:35:09
Franz Xaver Kroetz habe ich auf seinem Hof im bayerischen Altenmarkt besucht. Das geschah in einer sehr angenehmen und fast kumpelhaften Atmosphäre. Kaum hatte ich den schönen alten Hof betreten, führte Kroetz mich stolz herum und zeigte mir den Ausbau – vor allem hatte es ihm sein Badezimmer angetan, eine richtige Badelandschaft. Abends machten wir einen langen Spaziergang in Regen und Dunkelheit. Ich glaube, ich wohnte auch bei ihm. Kroetz war damals ein sehr gefragter Dramatiker, der drei bis vier Stücke pro Jahr auf die Bühne brachte. Gleichzeitig war er nach seiner DKP-Kandidatur für den Bundestag 1972 nun, 1976, Landtagskandidat der bayerischen DKP, und wir spekulierten darüber, ob er bereit wäre, das Schreiben für ein politisches Amt aufzugeben; dazu ist es jedoch nicht gekommen. Außerdem berichtet er über seinen Einfluss durch Religionslehrer und Pfarrer, die ihm an der Oberrealschule in München Thomas von Aquin und die existenzialistische Literatur nahebrachten, die man, nach Kroetz‘ Meinung, gelesen haben muss, um Kommunist zu werden.

Franz Xaver Kroetz, *25.2.1946 in München, Schriftsteller, Schauspieler, veröffentlichte seit Ende der sechziger Jahre über fünfzig Theaterstücke, die besonders in den siebziger Jahren großen Erfolg hatten, auch verfilmt wurden und sich vor allem mit dem Leben der Arbeiter, Bauern und Arbeitslosen auseinandersetzen (Wildwechsel, 1971; Heimarbeit, 1971; Oberösterreich, 1972). (Preise u.a. Bertolt-Brecht-Preis 1995; Marieluise-Fleißer-Preis 2007).

11 Walter Jens 14.5.1977


Dauer: 1:14:51
Am letzten Tag der Jahrestagung 1977 des P.E.N.-Clubs in Mannheim habe ich dieses Gespräch mit Walter Jens geführt, der damals Präsident des westdeutschen P.E.N. war. Wir unterhalten uns über die Aufgaben von Schriftsteller-Verbänden und kommen darauf zu sprechen, dass gerade in dieser Woche 17 Mitglieder, darunter Joachim Kaiser und Joachim Fest, aus Protest gegen die Aufnahme des marxistischen Ökonomen und führenden Mitglieds der Vierten Internationalen Ernest Mandel den P.E.N. verlassen haben. Walter Jens verteidigt die Aufnahme Mandels und äußert sich allgemein über das Verhältnis des P.E.N. zu politischen Themen, etwa den gerade streikenden Druckern. Darüber hinaus erinnert er sich an die Gruppe 47 und spricht über die jüngere Literatur, als deren wichtigste Vertreter er Achternbusch und Hubert Fichte sieht.

Walter Jens, *8.3.1923 in Hamburg, Literaturhistoriker, Schriftsteller, Mitglied der Gruppe 47, Präsident der westdeutschen Sektion des P.E.N.-Clubs von 1976 bis 1982, veröffentlichte eine Reihe literaturwissenschaftlicher Werke, den poetologischen Dialog Herr Meister (1963), Essays und Erzählungen (Der Fall Judas, 1975). (Preise u.a. Lessing-Preis 1968; Heinrich-Heine-Preis 1981).

Epilog: Heinz Ludwig Arnold 20.7.2011


Dauer: 1:08:07
Während der Fertigstellung meiner gesammelten Gespräche für die vorliegende Edition besuchte mich Frank Witzel, der die Bänder durchgehört und aufbereitet hat, in Göttingen. Wir unterhalten uns über die Literatur der siebziger und achtziger Jahre mit ihren einerseits zeitspezifischen politischen Ausprägungen und ihren andererseits doch so unterschiedlichen Autoren, kommen auf Hintergründe und Umstände der Gespräche und schließlich auch auf meine Biografie zu sprechen.

© Produktionen von Heinz Ludwig Arnold 2011
Digitalisierung: Reinhold Köhler
Technik und Redaktion: Frank Witzel
© Quartino GmbH, München 2011