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Meine Gespräche mit Schriftstellern 1977–1999

Originaltonaufnahmen

Autor: Heinz Ludwig Arnold
Sprecher: Günter Grass • Friedrich Dürrenmatt • Helmut Heißenbüttel • Lew Kopelew • Peter Weiss • Jurek Becker • Wolfgang Hildesheimer •Hugo Dittberner • Günter Wallraff • Hans Werner Richter • Walter Kolbenhoff • Peter Rühmkorf • Walter Kempowski
ca. 23 Stunden

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Aus der Rezension in der Süddeutschen Zeitung
vom 18. Oktober 2011:

"Literaturbetriebskunde, Werkstattbericht, poetologische Reflexionen und autobiographische Exkursionen – all dies entlockt Arnold seinen Autoren. Wer die Literaturgeschichte nach 1945 kennenlernen möchte, wer wissen will, wer mit wem paktiert und gegen wen intrigiert hat, welche Debatten eine Rolle spielten, welche Programme im Angebot waren, wie das Verhältnis von Poesie, Gesellschaft und Politik sich gestaltete, der muss diese Gespräche hören."
Ein Resumée der Rezension «Und dann und wann ein knisterndes Geräusch» finden Sie im perlentaucher

 

Neue Zürcher Zeitung
vom 29. Oktober 2011:

"Nicht zuletzt zeugen diese Aufnahmen von einer fabelhaften Gesprächskultur ... Sie sind für den Hörer ein intellektueller Genuss, eine vergnügliche Unterhaltung und ein enormer Gewinn zugleich."
Die komplette Rezension «Eine Literaturgeschichte in Gesprächen» finden Sie in der NZZ

 

Deutschlandradio Kultur
vom 3. November 2011:

"Sehr gut und unnachahmlich in seiner Hingabe an Literatur war Heinz Ludwig Arnolds Wirken für eine komplette Schriftstellergeneration. Dass einer seinen Geist ganz in den Dienst anderer, nicht eben uneitler Geister stellt, ist heute kaum mehr vorstellbar. Er würde sich mit den Beschriebenen und Befragten messen wollen, denn Eckermannsche Demut passt einfach nicht in den lauten, schnellen Betrieb unserer Tage. Mit Heinz Ludwig Arnold hat sich eine singuläre Chronistengestalt verabschiedet."
Die komplette Rezension «Insistierende Chronistengestalt» finden Sie bei dradio.de

 

DIE ZEIT
vom 17. November 2011:

"Womöglich aber ist der größte Schatz, den er (scil. Heinz Ludwig Arnold) hinterlassen hat, akustischer Natur: Seine häufig fortgesetzten und stundenlangen Gespräche mit Schriftstellern (...) hat er kurz vor seinem Tod noch zusammengestellt und auf drei mp3-CDs veröffentlicht: 65 großartige Stunden deutscher Literaturgeschichte."

 

FAZ
vom 10. Dezember 2011:

"Arnold selbst trägt immer neu Begeisterung und Offenheit in die Gespräche, wirkt als Vermittler noch da, wo es gilt, Gewohnheiten über Bord zu werfen. Das ist noch aus Nebensätzen dieser einzigartigen Edition herauszuhören ..."


1 Günter Grass 03 1977


Dauer: 1:01:29
Gerade war der Butt erschienen und hatte trotz mancher kritischer Rezensionen einen großen Erfolg. Günter Grass äußert sich über seine Leser und die Berufskritiker, die sich meist ein anderes Buch wünschen, als er bereit ist zu schreiben. Er spricht über den Unterschied zwischen dem Butt und der Blechtrommel und erläutert, warum beide Bücher nicht miteinander zu vergleichen seien: So verwandele sich im Butt das Autoren-Ich immer wieder. Es komme dadurch zu einer neuen Form von Ehrlichkeit des auktorialen Erzählers, der seine Situation offen preisgebe. Auch möchte Grass endlich mit der Konvention brechen, sich als Autor nicht zur Kritik äußern zu dürfen. Eine Gepflogenheit, die er mittlerweile für einen „Schmarrn“ hält, denn: „Seitdem es die Gruppe 47 nicht mehr gibt, fehlt auch ein Korrektiv der Kritik gegenüber.“

2 Dürrenmatt 02 3.12.1980


Dauer: 13:00
In einem knapp viertelstündigen Gespräch spricht Friedrich Dürrenmatt über zwei Stücke, an denen er gerade schreibt. Zum einen arbeite er an einer Komödie im herkömmlichen Sinn mit dem Titel Die Sekretärin. Das Gelingen stehe allerdings noch in Frage, weil es dabei um ein Stück gehe, in dem ein Dialog über die Frage eingewoben sei, was einen Weltstoff ausmache. Gleichzeitig beende er die Werk- ausgabe und überarbeite alte Stoffe wie Die Physiker oder Der Besuch der alten Dame. Ein weiteres neues Stück, eigentlich sein wichtigstes Stück, wie er selbst meint, ist Der Tod des Sokrates, in dem Aristophanes, der gescheiterte Komödiendichter, anstelle von Sokrates den Giftbecher trinkt. Beide Stücke hat Dürrenmatt leider nicht beendet, ja nicht einmal zu erkennbaren Fragmenten entwickelt.

3 Dürrenmatt 03 3.12.1980


Dauer: 3:45:45
Unmittelbar vor seinem sechzigsten Geburtstag spricht Dürrenmatt über die gerade entstehende große Werkausgabe und sein Prosa-Projekt der Stoffe, an dem er seit den siebziger Jahren arbeitet. Für Dürrenmatt hat sich die Perspektive immer mehr vom Theater auf den Roman verlagert, sodass er seine neuen Stücke, wie etwa Die Frist, gar nicht mehr im Hinblick auf eine Aufführung schreibe, da er sich auch hier der Geheimnislosigkeit des Brechtschen Theaters verweigern will. Den Unterschied zwischen dem Theater, von dem er sich abwendet, und dem Roman, der ihn für seine Arbeit immer stärker interessiert, bringt er auf die Formel: „Das Theater braucht einen Einfall, der Roman braucht eine Vision.“

4 Helmut Heißenbüttel 6.5.1981


Dauer: 2:02:40
Heißenbüttel ist für mich einer der wichtigsten Schriftsteller der Nachkriegszeit, weil er über sein eigenes Schreiben hinaus ein großer Anreger und vor allem ein großer Erzähler war. Er konnte die ganze Literatur in Geschichten abbilden und auf den Punkt bringen: „Wenn man die Literatur der Gruppe 47 charakterisieren und einen Querschnitt herstellen würde, dann bekäme man die Literatur von Siegfried Lenz.“ Kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag sprechen wir über die bevorstehende Pensionierung von der Rundfunkarbeit, über avantgardistische Literatur und ihre Vermittlung. Heißenbüttel war, wie Arno Schmidt, auch ein großer Kenner der Trivialliteratur des 19. und des 20.Jahrhunderts. Er äußert sich in diesem Zusammenhang auch zur Literaturkritik und sagt: „Kritiker wie Reich-Ranicki haben ihre Schwäche darin, dass sie immer mit dem Metermaß an die Literatur gehen. Sie müssen alles messen, wobei sie ihr Metermaß über die Jahre wechseln. Grundsätze und Maßstäbe braucht man aber vor allem für Trivialliteratur. Das Problem der Trivialliteratur ist allerdings, dass sie auf etwas zurückgreift, was in der sogenannten ernsten Literatur schon erledigt ist.“

Helmut Heißenbüttel, *21.6.1921 in Rüstringen, †19.9.1996 in Glückstadt, Schriftsteller, Mitglied der Gruppe 47, Rundfunkredakteur beim SDR, wandte sich schon früh dem experimentellen Schreiben zu, das die Grenzen zwischen den Literaturgattungen genauso überschreitet wie die zwischen Erfundenem und Gefundenem. Er sammelte und veröffentlichte seine Arbeiten in sogenannten Textbüchern (Textbuch I–XI, 1960–1987). (Preise u.a. Georg-Büchner-Preis 1969; Literaturpreis der Stadt Köln 1984).

5 Lew Kopelew 6.7.1981


Dauer: 1:44:57
Lew Kopelew lernte ich bei Heinrich Böll kennen. Ich nahm ihn und seine Frau Raissa mit nach Göttingen, und wir fuhren nicht über die Autobahn, die Raissa nicht mochte, sondern übers Land. Beide waren entzückt vor allem vom Weserbergland und von Südniedersachsen, und ich erinnere mich noch, wie Lew immer wieder sagte: „Warum verstehen wir Russen nicht, auch so ordentliche Dörfer anzulegen wie hier?“ Kopelews lebten damals in der Burse in Göttingen, und wir waren sehr oft zusammen. In unserem Gespräch faltet er in rasantem Tempo eine Geschichte der russischen Literatur der letzten zwei Jahrhunderte auf und spricht über sein Leben und seine große dreibändige Autobiografie, deren letzter Band gerade erschienen war.

Lew Kopelew, *9.4.1912 in Kiew, †18.6.1997 Köln, Schriftsteller und Germanist, wurde in den fünfziger Jahren wegen Propagierung des bürgerlichen Humanismus zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt und kam in den Gulag, wo er Solschenizyn kennenlernte. Nach seiner Freilassung 1954 setzte er sich weiter für die Menschenrechte ein und bekam Schreibverbot. Während einer Reise nach Deutschland auf Einladung von Heinrich Böll wurde er 1981 zusammen mit seiner Frau Raissa Orlowa ausgebürgert. Er veröffentlichte mehrere Bücher zur deutschen Literatur (Der Wind weht, wo er will, 1988) und eine mehrbändige Autobiografie (Aufbewahren für alle Zeit, 1976; Und schuf mir einen Götzen, 1979; Tröste meine Trauer, 1981). (Preise u.a. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1981; Erich-Maria- Remarque-Friedenspreis 1991).

6 Peter Weiss 1981


Dauer: 2:19:25
Ein halbes Jahr vor seinem Tod war ich bei Peter Weiss in Stockholm. Wir sprechen über seine Zeit im Exil und die ersten künstlerischen Einflüsse in den vierziger Jahren, die für ihn als Maler damals vor allem vom Symbolismus und Surrealismus ausgingen. Neben seiner Malerei begann er zunächst auf Schwedisch zu schreiben. Später eroberte er sich in seinen ersten Prosa-Arbeiten die deutsche Sprache zurück. Nachdem das Schreiben immer mehr Raum in seinem Schaffen einnahm, gab er schließlich die Malerei ganz auf. Wir sprechen sehr ausführlich über seine gerade beendete Trilogie Die Ästhetik des Widerstands: Sie lasse sich nicht mit den traditionellen Begriffen des Schönen, Abgeklärten oder Vorbildhaften greifen, sondern meine den Kampf des Menschen, sich auf eine höhere geistige Ebene hin zu entwickeln. Zu diesem Kampf gehöre entschieden die kulturelle Umwandlung und die Eroberung des Zugangs zur Kunst und zum Ausdruck.

Peter Weiss, *8.11.1916 in Nowawes bei Berlin, †10.5.1982 in Stockholm, Schriftsteller, Maler, Filmemacher, Mitglied der Gruppe 47, emigrierte 1938 nach Schweden, wo er bis zu seinem Tod lebte; zunächst Maler und Experimentalfilmer, gab er diese beiden Tätigkeiten auf, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Neben seinen oft politisch aktuellen Theaterstücken (Die Ermittlung, 1965; Viet- Nam-Diskurs, 1968) veröffentlichte er die Trilogie Ästhetik des Widerstands (1975–1981). (Preise u.a. Heinrich-Mann-Preis 1966; Georg-Büchner-Preis 1982).

7 Jurek Becker 11.11.1983


Dauer: 2:01:26
Jurek Becker wollte sich nicht damit abfinden, keine Erinnerungen an seine Zeit in Ghetto und Konzentrationslager zu haben. Verdrängung allein konnte es nicht sein, weil ihm ja gar nichts aus sich hervorzuholen gelang. Es mögen mehrere Gründe dafür eine Rolle spielen, unter anderem auch, dass sich sein Vater weigerte, über diese Zeit zu sprechen; doch er vermutet, dass es einfach zu wenig Erinnerungsmaterial aus dieser Zeit gibt, da die Tage im Ghetto von großer Ereignislosigkeit waren. „Es gab keine Hügel in der Erinnerungslandschaft, die sich einprägen hätten können.“ Gleichzeitig fehlte die für ein Kind notwendige geistige Anregung, da seine Mutter den ganzen Tag arbeiten musste und sich nicht um ihn kümmern konnte. Sein Leben war auf das reine Überleben ausgerichtet, weshalb er einem wilden Tier glich. Jakob der Lügner handelt zwar von einer Zeit, die Becker erlebt hat, ist aber vollkommen erfunden. „Es war der Versuch, ein Gedankenloch zu füllen, dieser Versuch aber ist fehlgeschlagen.“

Jurek Becker, *30.9.1937 in £ódê, †14.3.1997 in Sieseby, Schriftsteller, lebte als Kind im Ghetto von £ódê und den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen und wurde nach Abitur und Studium in den sechziger Jahren Drehbuchschreiber bei der DEFA. Sein erfolgreichster Roman Jakob der Lügner (1969) entstand aus einem abgelehnten Drehbuch. 1977 siedelte er in den Westen um und veröffentlichte bis in die neunziger Jahre ein Dutzend Romane und Erzählungen (Der Boxer, 1976; Bronsteins Kinder, 1986) und weitere Drehbücher und Filmvorlagen (Meine Stunde Null, Liebling Kreuzberg). (Preise u.a. Heinrich-Mann-Preis 1971; Adolf-Grimme-Preis 1987).

8 Wolfgang Hildesheimer 18.8.1984


Dauer: 1:14:48
Wolfgang Hildesheimer habe ich 1984 in Poschiavo besucht. Er hatte damals gerade seinen Entschluss bekannt gemacht, kein größeres Werk mehr zu schreiben. Als primären Grund, das Schreiben aufzugeben, nennt er die Tatsache, dass Schriftsteller die Wirklichkeit nicht mehr wiedergeben können. „Schriftsteller beschreiben eine Welt von gestern, und die Form des Romans reicht nicht mehr aus, um darzustellen, was in den Bereichen der Wissenschaft geschieht, die den Schriftsteller wahrscheinlich verachten.“ Ein weiterer Grund war Hildesheimers Gefühl, dass die Gesellschaft generell um ihr Nachleben betrogen werde und es gar keine Zukunft mehr gebe, wofür er ausdrückliche Zustimmung von Günter Kunert erhielt, der sagte: Wir haben nicht fünf vor zwölf, sondern halb eins. Hildesheimer erzählt von der Angst, in seinem Alter von 67 Jahren ein größeres Werk nicht mehr vollenden zu können.

Wolfgang Hildesheimer, *9.12.1916 in Hamburg, †21.8.1991 in Poschiavo, Schriftsteller und Maler, Mitglied der Gruppe 47, Dolmetscher und Gerichtsschreiber bei den Nürnberger Prozessen, wurde Anfang der fünfziger Jahre mit seinen Lieblosen Legenden (1952) bekannt, schrieb vor allem für den Rundfunk (Das Opfer Helena, 1955) und das Theater (Die Verspätung, 1961) und veröffentlichte die Romane Tynset (1965) und Masante (1973), bevor er sich 1984 vom Schreiben zurückzog. (Preise u.a. Georg-Büchner- Preis 1966; Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 1982).

9 Hugo Dittberner 30.5.1985


Dauer: 39:49
Hugo Dittberner war einer der jüngsten Autoren, mit denen ich gesprochen habe. Er ist ein eher ruhiger Schriftsteller und mir gerade deshalb besonders sympathisch. Ich interessierte mich für ihn wegen seines ersten Romans Das Internat, sein erstes, stark autobiografisch geprägtes Buch. Außerdem hat er sehr schöne Gedichte geschrieben und vor allem einige Bände mit sehr guten Erzählungen (und später) Romanen aus der niedersächsischen Provinz, die freilich für alle Provinzen des Menschen steht. Dittberner erzählt von diesem Schreiben in der Provinz, das für ihn kein Rückzug in die Idylle ist, weil die politischen und sozialen Themen nicht ausgespart werden. Literatur ist für ihn ein Refugium, das sich immer wieder durch das Schreiben und das Lesen herstellt.

Hugo Dittberner, *16.11.1944 in Gieboldehausen, Schriftsteller, veröffentlichte 1974 den Roman Das Internat und wurde vor allem in den siebziger Jahren mit seinen Gedichten und Erzählungen als Vertreter einer neuen subjektiven Schreibweise bekannt (Draußen im Dorf, 1978; Wie man Provinzen erobert, 1986). Zwei seiner schönsten Romane sind Geschichten einiger Leser (1990) und Das Seevokabularium (2010).

10 Günter Wallraff 02 15.1.1986


Dauer: 1:27:26
Nach Veröffentlichung von Ganz unten, das davon handelt, wie Günter Wallraff als Türke Ali zwei Jahre im Untergrund lebte und arbeitete, erzählt er in diesem Gespräch von den Schwierigkeiten, sich als Türke in der Arbeitswelt zu bewegen und sich als nicht türkisch sprechender Türke unter Türken aufzuhalten. Nach mehreren Versuchen als Taubstummer und als Angehöriger einer kleinen Minderheit Deutsch sprechender Türken an der sowjetischen Grenze kam er darauf, eine griechische Mutter zu erfinden, die ihn gleich nach seiner Geburt mit in ihre Heimat genommen hatte, denn über Griechenland, wo Wallraff inhaftiert gewesen war, konnte er viel erzählen. Wir unterhalten uns über seine unterschiedlichen Arbeitsmethoden, die irgendwo zwischen Eulenspiegelei, empirischer Forschung, Provokation und sozial-psychologischer Versuchsanordnung angesiedelt sind, und kommen auch auf die gesundheitlichen Gefahren und Risiken seiner Undercover-Tätigkeit zu sprechen.

11 Hans Werner Richter 23.8.1987


Dauer: 2:00:23
Ein Jahr vor seinem achtzigsten Geburtstag spreche ich mit Hans Werner Richter über sein Leben, die Kriegsgefangenschaft und die von ihm unmittelbar nach dem Krieg herausgegebene Zeitschrift Der Ruf und den nie erschienenen Skorpion, aus dessen Scheitern sich die Gruppe 47 entwickelte. Richter erzählt über die Gepflogenheiten der Gruppe, seine Begegnungen mit bekannten und weniger bekannten Autoren und seine eigene Abkehr von der literarischen Produktion.

Hans Werner Richter, *12.11.1908 in Neu Sallenthin, †23.3.1993 in München, Schriftsteller, Organisator der Gruppe 47, die sich aus den von ihm nach dem Krieg herausgegeben Zeitschriften Der Ruf und Der Skorpion entwickelte. Auf Einladung von Richter fanden zwischen 1947 und 1967 die Treffen der Gruppe in unterschiedlichen Zusammensetzungen statt. Er stellte seine eigene literarische Produktion zurück, fungierte vor allem als Herausgeber und publizierte historische und biografische Stoffe (Die Stunde der falschen Triumphe, 1981; Im Etablissement der Schmetterlinge, 1986). (Preise u.a. Fontane-Preis 1951; Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 1986).

12 Walter Kolbenhoff 1988


Dauer: 1:57:00
Im Jahr seines achtzigsten Geburtstags spreche ich mit Kolbenhoff vor allem über seine bewegte Biografie. Er erzählt, wie er schon als Jugendlicher immer wieder ausriss, um durch Europa und bis nach Afrika zu vagabundieren. Nach seinem Eintritt in die KPD macht er dort die Bekanntschaft mit dem Sexualforscher, Soziologen und Psychoanalytiker Wilhelm Reich, den er später in Kopenhagen wieder traf. Obwohl von der Gestapo gesucht und von der KPD ausgeschlossen, lässt er sich von seinen Genossen überreden, als kommunistischer Unterwanderer nach Deutschland zurückzukehren und dort in die Reichswehr einzutreten. Er schildert seine Zeit in den Lagern und seine Beobachtung bei der Hinrichtung von Naziverbrechern nach dem Krieg. Er erzählt auch von der Gruppe 47 und den Autoren bei ihm in der Schellingstraße, die er in seinem gleichnamigen Roman beschreibt. Er ist der aktuellen politischen, sozialen und ökologischen Situation gegenüber resigniert und beruft sich auf Hildesheimer, der aus ähnlichen Gründen wenige Jahre zuvor das Schreiben eingestellt hatte.

Walter Kolbenhoff, *20.5.1908 in Berlin, †29.1.1993 in Germering, Schriftsteller, Mitglied der Gruppe 47, reiste in den zwanziger Jahren als Vagabund durch Europa, Afrika und Kleinasien. Er veröffentlichte schon vor dem Krieg erste Romane (Der Hinterhof, 1930; Untermenschen, 1933), war nach dem Krieg Mitarbeiter der Zeitschriften Der Ruf und publizierte 1984 seine Lebenserinnerungen unter dem Titel Schellingstraße 48. (Preise u.a. Tukan-Preis 1985; Günter-Eich-Preis 1990).

13 Peter Rühmkorf 02 6.7.1999


Dauer: 54:13
Mehr als zwanzig Jahre nach unserem ersten Gespräch habe ich dieses Gespräch anlässlich eines Films, den ich über ihn gedreht habe, mit Peter Rühmkorf zu seinem siebzigsten Geburtstag geführt. Wir sprechen über die Einflüsse von Benn und Brecht in seinem Werk und wie sich deren unterschiedliche ästhetische Positionen bei ihm in einer fruchtbaren Spannung halten. Rühmkorf erläutert, dass sich die Schnittlinie nicht einfach zwischen Appellativem und Liebe zum Klang ziehen lässt, denn der junge Brecht habe sich oft nihilistischer geäußert als Benn, während Benn umgekehrt das Du suchte, auch wenn er es als Ich anspricht. Wir streifen andere seiner Vorbilder wie Walther von der Vogelweide und Klopstock, deren Gedichte er in glänzende Variationen überführt hat, sprechen über die Unterschiede zwischen dem Reim, der oft nicht zum scharfen Denken tauge, und freier Rhythmik. Gegen Ende diskutieren wir seine persönliche Haltung und das stark veränderte politische Engagement der Schriftsteller und ihren Rückzug ins Private. Zum Schluss kommen wir auf seinen gerade erschienenen Gedicht-Band Wenn - aber dann zu sprechen.

14 Walter Kempowski 1999


Dauer: 43:54
Als ich Walter Kempowski 1971 kennen lernte, war gerade Tadelöser & Wolff erschienen. Ich fand die pointilistische Schreibweise dieses Romans interessant, die Kempowski schon in seinem ersten Roman Im Block benutzt hatte: eine im Zuchthaus Bautzen, in dem er wegen angeblichen Geheimnisverrats acht Jahre gesessen hatte, entwickelte Erinnerungstechnik, die immer nur kleine Fetzen und Segmente aneinanderreiht, die Kempowski sich wie Fotografien eingeprägt hat. Als ich ihn dazu befragte, sagte er mir: „Ich werde nie über eine Zeit schreiben, die ich nicht kenne.“ Das hat er später aber getan, dann allerdings nicht in dieser Schreibweise, sondern ausladend diskursiv. Wir unterhalten uns in diesem Fernsehporträt auch über diese literarische Weiterentwicklung, sprechen über seine Manie, Tagebücher und Briefe zu sammeln, und wie die kollektive Erinnerung die individuelle Schreibarbeit beeinflusst. Walter Kempowski, *29.4.1929 in Rostock, †5.10.2007 in Rotenburg (Wümme), Schriftsteller, Grundschullehrer, verbrachte acht Jahre im DDR-Zuchthaus Bautzen. Er verarbeitete diese Zeit in seinem Roman Im Block (1969). Bekannt wurde er durch seine Kindheitserinnerungen Tadellöser & Wolff (1971) und Uns geht‘s ja noch gold (1972), die er bis 1984 zu einer neunbändigen ‚Deutschen Chronik‘ erweiterte. Ab den neunziger Jahren bis zu seinem Tod widmete er sich der kollektiven Erinnerung, die er in den vier Bänden Das Echolot (1993–2005) versammelte. (Preise u.a. Hörspielpreis der Kriegsblinden 1981; Uwe-Johnson-Preis 1995).

Epilog: Heinz Ludwig Arnold 20.7.2011


Dauer: 1:08:07
Während der Fertigstellung meiner gesammelten Gespräche für die vorliegende Edition besuchte mich Frank Witzel, der die Bänder durchgehört und aufbereitet hat, in Göttingen. Wir unterhalten uns über die Literatur der siebziger und achtziger Jahre mit ihren einerseits zeitspezifischen politischen Ausprägungen und ihren andererseits doch so unterschiedlichen Autoren, kommen auf Hintergründe und Umstände der Gespräche und schließlich auch auf meine Biografie zu sprechen.

© Produktionen von Heinz Ludwig Arnold 2011
Digitalisierung: Reinhold Köhler
Technik und Redaktion: Frank Witzel
© Quartino GmbH, München 2011