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Schöpfung oder Evolution?

Originalvorträge - Adolf Butenandt, Joseph Ratzinger (Benedikt XVI) u.a.

Autor: Karl Jaspers, Joseph Ratzinger (Benedikt XVI.) Carl Friedrich von Weizsäcker, Adolf Butenandt, Ludwig von Bertalanffy, Adolf Portmann
Sprecher: Karl Jaspers, Joseph Ratzinger (Benedikt XVI.), Carl Friedrich von Weizsäcker, Adolf Butenandt, Ludwig von Bertalanffy, Adolf Portmann
ca. 178 Minuten

Durch Verfechter des „Kreationismus“, die die Bibel wörtlich nehmen möchten, ist die scheinbar erledigte Debatte um Schöpfung oder Evolution wieder aufgeflammt. Unsere Sammlung zum Thema zeigt, dass solche Beiträge vielfach hinter den bereits erreichten Stand zurückfallen. Grund genug für eine Vergewisserung der Argumente mit prominenten Disputanten

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CD 1 | Karl Jaspers - Der Weltschöpfungsgedanke

Sendung: 14. 09. 1955, SDR Regie und Aufnahmeleitung: Johannes Schlemmer
Laufzeit: 22:41

Inhalt: In den alten Kosmogonien wird die Entstehung der Erde als Zeugung durch geschlechtliche Verdopplung oder Vereinigung vorgestellt, als Wachstumsursprung aus dem Ur-Ei oder aus dem Meer, als das Machen durch den Urheber, dann schließlich als das Werden des Bewussten aus dem Unbewussten, der Zweiheit aus der Einheit, der Denkbarkeit aus dem Unvordenklichen, aus dem Prozess des sich Entgegensetzens und Wiedervereinens. Allen diesen Vorstellungen ist eines gemeinsam: Man scheint zu wissen, wie es geschehen ist. Man operiert mit Mächten, Göttern, Substanzen und Kategorien, nach deren Herkunft nicht weiter gefragt wird. Das Geheimnis ist im Bescheidwissen verloren. Über all diese mythischen Kosmogonien hinaus scheint eine wahre Antwort in dem Gedanken an der Schöpfung aus dem Nichts zu liegen. Diese Schöpfung ist unvorstellbar und durch keine Analogien zu veranschaulichen. Die Schöpfung wird aus der Zeitlichkeit, die selbst zur Welt gehört, herausgenommen. Zwei historische Beispiele für diesen Gedanken: 1. der biblische Schöpfungsgedanke, Gott schuf die Welt aus dem Nichts. Doch auch dieser Gedanke, einmal entfacht, fragt weiter, wer denn Gott sei. 2. der indische Gedanke. Hier ist die Welt keine in sich gegründete Wirklichkeit, sondern Maya, Realität zwar für unser Dasein, doch mit diesem Dasein Verhüllung des Wirklichen durch ein Blendwerk. Weltschöpfung ist das Aufleuchten dieses Nicht-Seins in der Verführung durch den Schein des Seins. Doch woher stammt der Zauber? Wer vollzieht ihn? Das Ende ist auch hier der Abgrund, der uns schwindlig macht. Allen diesen Fragen nach der Weltentstehung steht die Antwort entgegen, dass die Welt ewig ist, ungeworden, aus nichts anderem entstanden und selber alles. Diese Antwort ist etwa in China eine fraglose Selbstverständlichkeit. Dort ist die Welt gelenkt von der Ordnung des Tao. Wir hören heute von den Physikern die Geschichte des Weltalls. Aus der Urexplosion erstand der Prozess des sich ständig noch erweiternden Alls. Wo Messung und Mathematik regieren, ist der moderne Mensch leicht geneigt, sich zu unterwerfen, doch mathematische Möglichkeitsentwürfe sind ebenso täuschende Spekulationen wie die früheren der Metaphysik. Entscheidend sind zwei Tatbestände: 1. Kant begriff, dass die Welt im Ganzen gar nicht Gegenstand der Betrachtung werden kann, da wir in der Welt sind und ihr nie als Ganzem gegenüberstehen. Versuchen wir die Welt als Ganzes zu fassen, so geraten wir in Antinomien, deren Thesen und Antithesen beide gleichermaßen beweisbar scheinen, wenn man abstrakt denkt, und unlösbar, wenn die Erfahrung gefragt wird. 2. Ist die Welt nicht immer nur das, was in solcher Erkenntnis notwendigerweise als lebloser Kosmos gedacht wird? Dass es sich aber um Leben handelt und wir Menschen sind, ist aus der heute rein mathematisch erkannten Welt genauso wenig zu begreifen wie früher etwa aus dem Atomismus. Wenn aus dem erkennbaren Kosmos jedoch nicht die Herkunft des Denkens zu begreifen ist, das ihn erkennt, so können wir die Welt zwar nicht als Gegenstand erkennen, doch wir können sie im Bewusstsein unserer Freiheit überschreiten. Der Gedanke der Weltschöpfung Gottes aus Nichts ist dann ein Symbol, kein Wissen. In ihm wird der Abgrund offen, in dem wir mit all unserem Weltwissen gleichzeitig verschlungen und geborgen werden.

CD 1 | Joseph Ratzinger - Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie

Sendung: 13. 6. 1968, SDR Redaktion: Hans Jürgen Schultz Laufzeit: 29:05

Inhalt: Schöpfungsglaube und Evolutionsgedanke bezeichnen nicht nur zwei verschiedene Frageumfänge, sondern zwei völlig unterschiedliche Denkformen. Der Schöpfungsglaube fragt, warum überhaupt etwas ist, während sich der Entwicklungsgedanke damit beschäftigt, warum gerade diese Dinge sind und nicht andere, woher sie also stammen und wie sie mit den anderen Bildungen zusammenhängen. Der Gläubige muss sich dabei durch die Wissenschaft belehren lassen, dass die Weise, wie er sich die Schöpfung vorgestellt hatte, einem vorwissenschaftlichen Weltbild zugehört, das unhaltbar geworden ist. Dabei ist die Fragestellung des Evolutionsgedankens enger als die des Schöpfungsglaubens, da die Evolutionstheorie den Schöpfungsgedanken nicht in sich einbauen kann und die Frage offen bleibt, ob die Problemstellung des Glaubens nicht an sich berechtigt ist. Umgekehrt ist zu fragen, ob der Schöpfungsglaube seinerseits den Evolutionsgedanken annehmen kann, oder ob das seinem Grundansatz widerspricht. Um diese Frage zu beantworten, muss man das Prinzip der Evolution genauer betrachten. Entweder sind alle Einzeldinge Produkt der Entwicklung, dann auch der Mensch, oder aber sie sind es nicht. Das Letztere scheidet aus, so bleibt die erste Annahme, die aber den ganzen Schöpfungsgedanken infrage stellt, weil damit die Grundvoraussetzung des Schöpfungsglaubens, der Primat und die Superiorität des Geistes, aufgehoben ist. Versucht man dieses Problem zu umgehen, indem man sagt, der Körper des Menschen unterliegt der Evolution, während der Geist von Gott geschaffen ist, da Geist nicht aus Materie entsteht, so muss man fragen, ob man den Menschen so zwischen Theologen und Naturwissenschaftlern aufteilen kann, die Seele den einen, den Leib den anderen, da der Naturwissenschaftler glaubt, das ganze Gebilde Mensch langsam heranreifen zu sehen, während der Theologe überzeugt ist, dass der Geist das Gestaltgebende des Leibes ist. Schöpfung und Entwicklung sind somit in ein strenges Entweder-Oder geführt, das keine Vermittlung zulässt. Das aber würde nach unserem heutigen Erkenntnisstand das Ende des Schöpfungsglaubens bedeuten. Der Schöpfungsglaube war jedoch mit keinem der bisherigen Weltbilder identisch, sondern beantwortete eine Frage, die hinter die Weltbilder zurückführt und sich in sie eingräbt. Dabei ist der Glaube weder Voraussetzung noch Illustration der Evolutionstheorie. In der Evolutionstheorie ist das Sein dynamisch und gerichtet verstanden und der Mensch selbst Bezugspunkt dieser Entwicklung. Doch die Frage, ob die Evolution selbst einen Sinn hat, bleibt unbeantwortet. Der Schöpfungsglaube beantwortet diese Frage, indem er Schöpfung nicht als einen fernen Anfang sieht, sondern als Zeitliches und Werdendes, das im Ganzen umspannt ist vom schöpferischen Akt Gottes. Der Schöpfungsglaube sagt uns nicht das Was des Weltbildes, sondern nur sein Dass. Schöpfung ist dabei nicht nach dem Muster des Handwerkers zu denken, der allerlei Gegenstände macht, sondern in der Weise, in der das Denken schöpferisch ist. An Schöpfung glauben heißt demnach, die von der Wissenschaft erschlossene Welt im Glauben als eine sinnvolle aus dem schöpferischen Sinn Kommende verstehen.

CD 2 | Carl Friedrich von Weizsäcker - Am Anfang schuf Gott …


Sendung: 01. 04. 1988, SWF Aufnahmeort: Frankfurt, Vortrag auf dem Evangelischen Kirchentag 1987 Redakteur: Theo Wurm Laufzeit: 40:10

Inhalt: Es gibt eine sonderbare Theorie, den Kreationismus, die behauptet, die Welt sei vor 6000 Jahren so von Gott geschaffen, dass sie aussehe, als sei sie Milliarden von Jahren alt. Diese Theorie ist nicht zu widerlegen, da die Vergangenheit nicht zugänglich, sondern nur aus Dokumenten und Erinnerungen zu erschließen ist. Über konkrete Tatsachen hingegen lassen sich sichere Aussagen treffen, etwa dass der Himmel kein Gewölbe ist, das die Erde gegen den übrigen Kosmos abgrenzt. Der Schöpfungstext der Bibel ist also aus einem Naturverständnis seiner Zeit verfasst worden. Gleichzeitig ist anzunehmen, dass dieser Text als Gleichnisrede gemeint war, so wie wir heute ebenfalls in Gleichnissen reden. Denn auch wenn man sehr genau belegen kann, dass die Erde viereinhalb Milliarden Jahre alt ist, so erscheint der Ausdruck „Urknall“ wie die Metapher eines Weltentstehungsmythos, der aus dem Jahrhundert stammt, in dem die Atombombe explodierte. Die Bilder, die wir uns machen, sind eben auch heute nicht frei von dem, was uns unterschwellig emotional bewegt.
In der Bibel werden vor die Geschichte des jüdischen Volkes, die eigentlich mit der Gesetzgebung beginnt, die alten Sagen von der Abstammung dieses Volkes gesetzt. Diese alten Sagen werden als Grundbestand weitergegeben, in dem sich die Auserwähltheit des Volkes zeigt. Auserwählt durch die Aussage: Du sollst das Gute tun, und wenn du es nicht tust, dann wirst du sterben, und du wirst sterben, weil nur das Gute überhaupt das ist, was das Leben erst möglich macht. Der Gott, der das sagt, ist aber nicht einer unter vielen, sondern er ist der Einzige, der weiß, wovon die Rede sein muss, der einzige wirkliche Gott, der auch die Welt geschaffen hat. Die biblische Schöpfungsgeschichte erklärt die Welt, wie sie gemeint war. Gleichzeitig bildet sie die Geschichte der Hochkultur des Menschen, die heute 6000 und damals 4000 Jahre alt war, ab. Die ersten elf Kapitel des Ersten Buchs Mose sind, wenn man sie genau liest, eine Kritik dieser Hochkultur. Zuerst gibt es eine Vorstellung vom Paradies, aus dem Adam und Eva vertrieben werden. Dann erschlägt der Ackerbauer Kain den Hirten Abel und wird zum Gründer der ersten Stadt. Die Nachkommen des Brudermörders erfinden die Viehzucht, die Musik und die Metallbearbeitung. Dann kommen die Söhne Gottes, die sich mit den Töchtern der Welt einlassen und Halbgötter zeugen, die Gottkönige, deren Sünden so zum Himmel schreien, dass Gott beschließt, die gesamte Schöpfung zu vernichten, mit Ausnahme eines Paares von jedem Tier und einer Familie von Menschen. Die Hochkultur ist also etwas, das Entsetzen hervorruft. Doch in diesen Anfang hinein ist das Bild der wohlgeordneten Welt gesetzt, wie Gott sie gewollt und kraft seines Wortes geschaffen hat. Dieser Text sagt nichts darüber aus, wie es weitergegangen ist. Die Hochkultur sollte vielmehr von innen heraus durch den Namen Gottes gebändigt werden. Das Göttliche ist zuerst da, und insofern der Mensch daran Anteil hat, gehört er dem Göttlichen an. Dass der Mensch dabei über die Erde herrschen soll, bedeutet nicht, dass er die Welt ausbeutet, sondern dass er so über sie herrscht, wie Gott sie gemacht hat, nämlich damit sie gut ist und ihre Ordnung bewahrt.


CD 2 | Adolf Butenandt - Was bedeutet Leben unter dem Gesichtspunkt der biologischen Chemie?


Sendung: 17. 11. 1954, SDR Aufnahmeort: Studio Tübingen
Regie: Johannes Schlemmer Laufzeit: 27:00

Inhalt: Begreifen wir Leben als eine chemische Bewegung, so wird deutlich, dass es zwar lebende Organismen gibt, aber nichts, was mit dem abstrakten Begriff des Lebens bezeichnet werden könnte. Alle Lebensvorgänge, von der Einzelzelle bis zum höchstentwickelten Lebewesen, sind an chemisch-stoffliche Ordnungsgefüge gebunden. Das chemisch-stoffliche Ordnungsgefüge, das wir in der Zelle antreffen, befindet sich dabei in keinem statischen Zustand, stattdessen werden in einem dynamischen Geschehen alle erkennbaren Strukturen und Formelemente beständig eingeschmolzen, abgebaut und wieder aufgebaut, so etwa der gesamte Eiweißbestand eines menschlichen Körpers einschließlich aller Muskeln, der innerhalb von 80 Tagen auf die Hälfte abgebaut und neu synthetisiert wird. Diese für das Leben kennzeichnende chemische Bewegung umfasst jedoch nicht allein die Prozesse, die in einem Individuum während seines Lebens ablaufen, sondern begegnet uns auch in einem alle Lebewesen umfassenden Kreislauf, in dem immer wieder neue Individuen entstehen, und sich über Zeugung, Entwicklung, Wachstum, Geschlechtsreife, Rückbildung, Altern, Tod und Zerfall in diesen Verlauf einfügen. Immer wieder wird dabei neue organische Substanz aus anorganischer aufgebaut, und diese einmal gebildete Substanz kann auf mannigfaltigen Wegen eine Vielzahl von Lebewesen durchlaufen, bis sie schließlich zu Endprodukten des Stoffwechsels verbrennt, in anorganische Materie zurückverwandelt wird und erneut in den Anfang des Kreisprozesses eintritt. Dabei interessiert natürlich der Beginn dieser chemischen Bewegung. Am Anfang des Zeitalters nämlich muss organisch-chemische Substanz aus anorganischer entstanden sein, denn das chemisch-stoffliche Ordnungsgefüge einer lebendigen Organisation konnte erst entstehen, nachdem organisch-chemische Substanz verfügbar war. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen wird auf der Erde organische Substanz nur durch Lebewesen gebildet, weil in Gegenwart von Sauerstoff organisch-chemische Stoffe nicht beständig sind, sondern in Wasser, Kohlensäure und Ammoniak zerfallen. Die Ur-Atmosphäre unserer Erde war jedoch frei von Sauerstoff. Sie bestand aus Kohlenwasserstoffen einfacher Art, aus Ammoniak, Wasser und Wasserstoff. Führt man diesem System Energie durch elektrische Ladung zu, so bilden sich nach einigen Tagen wägbare Mengen von Aminosäuren in Verbindungen, die alle heutigen Lebewesen zum Aufbau ihrer Eiweißstrukturen verwenden. Aber auch die Virusforschung liefert einen Beitrag zum Problem der Urzeugung, denn Viren sind Modelle für Vorstufen des Lebens, die in einer Umgebung, die ihnen Baustoffe und Energie liefert, also innerhalb einer lebenden Zelle, zur Vermehrung und Mutation fähig sind. Ein solches Gebilde ist jedoch noch kein Lebewesen, da dafür das energieumsetzende und das genetische Material in einem Gebilde vereint sein müssen. Wie diese Verbindung zustande kommen könnte, ist jedoch noch völlig verborgen, auch wenn wir ahnen, in welcher Richtung wir suchen müssen.

CD 3 | Ludwig von Bertalanffy - Die Evolution der Organismen


Sendung: 27. 10. 1954, SDR Regie: Johannes Schlemmer Laufzeit: 26:41

Inhalt: Evolution ist nicht eine Tatsache, sondern eine Extrapolation von Tatsachen, deren Rechtfertigung mit dokumentarischen Beweisen erbracht wird. Zu diesen zählen drei grundsätzliche Beobachtungstatsachen: 1. Soweit unsere Erfahrung geht, entstehen Organismen nur auf dem Weg der Elternzeugung. 2. Nur Blutsverwandtschaft produziert den Eltern ähnliche Organismen. 3. Trotz dieser Ähnlichkeiten zwischen Eltern und Nachkommen treten häufig Abänderungen vom elterlichen Typ auf. Gehen wir von denselben Voraussetzungen auch in der Vergangenheit aus, so gibt uns die Evolution eine befriedigende Erklärung für die gradweise abgestufte Mannigfaltigkeit der Organismenwelt. Die Idee der Evolution ist jedoch keine moderne Erfindung und bis zum Ende des 8. Jahrhunderts wurde die Theorie der natürlichen Evolution sogar von einem beträchtlichen Teil der Kirchenväter offiziell verfochten. Ein großer Teil philosophischer Auseinandersetzung ergibt sich auch nicht aus dem allgemeinen Evolutionsprinzip, sondern aus der Hypothese über die Ursachen dieser Evolution, die man unter dem Begriff des Darwinismus oder der Selektionstheorie zusammenfasst. In dieser Theorie spielen drei Faktoren eine besondere Rolle: 1. die Mutation. In jeder Art finden sich solche erblichen Abänderungen. Mutationen sind ungerichtet, das heißt, sie zeigen keine direkte Beziehung zu Funktion, Anpassung und Umweltbedingungen. Sie treten spontan auf, können aber auch durch bestimmte Außenfaktoren induziert werden. 2. die Selektion. In jeder Art findet sich eine enorme Überproduktion von Nachkommen, von denen ein beträchtlicher Teil im sogenannten Kampf ums Dasein vernichtet wird. Ist eine Mutation unvorteilhaft, so greift die Selektion, die umgekehrt günstigen Mutationen einen Vorteil bei der Vermehrung verschafft. 3. die Isolation. Ist eine Art in kleine voneinander isolierte Populationen aufgeteilt, so können in einzelnen Regionen Mutationen unabhängig von ihrer Nützlichkeit dominieren. Da alle drei Faktoren sehr stark dem Zufallsprinzip unterworfen sind, kommt es immer wieder zu leidenschaftlichen Debatten, deren Tenor man scherzhaft in der Frage zusammenfassen könnte, ob die Entwicklung vom Urwurm zu Beethoven wirklich nichts weiter als eine Reihe glücklich verlaufener Zufälle der Genänderung war. Vom Standpunkt des allgemeinen Biologen aus betrachtet ist die grundsätzliche Frage der Evolution jedoch gar nicht die der Entstehung der Arten, Klassen oder Stämme, sondern vielmehr die der Entstehung von Organisation. Ein lebender Organismus ist nicht ein bloßes Konglomerat morphologischer Bestandteile oder anpassungsfähiger Charaktere, sondern ein Wunderbau kompliziertester Bauelemente und Vorgänge. Schon eine kleine Störung in diesem Geflecht von Wechselwirkungen kann zu katastrophalen Resultaten führen. Die Entstehung einer neuen Art bedeutet deshalb auch immer eine Umstrukturierung der Organisation auf allen Stufen, vom Zellstoffwechsel über den Instinkt bis zum Verhalten. Um die Evolution besser verstehen zu können, müssen also vor allem die Prinzipien der Organisation betrachtet werden, denn diese organismischen Gesetze beeinflussen den evolutionären Prozess, der damit nicht mehr allein vom Zufall bestimmt wird.

CD 3 | Adolf Portmann - Die Entwicklungsgeschichte der Tiere


Sendung: 3. 11. 1954, SDR Aufnahmeort: Basel Regie: Johannes Schlemmer
Laufzeit: 31:33

Inhalt: Bereits im Jahr 1830, also noch vor Erscheinen von Darwins Hauptwerk, bemerkten Forscher, dass der menschliche Embryo in frühen Stadien seitlich am Hals Poren aufweist, die den Anlagen entsprechen, aus denen sich bei den Fischen die Kiemenspalten entwickeln. Aber auch bei der Ausbildung der Augen geschieht etwas Seltsames, da die Lider im zweiten Monat mit einer Verschlusswand aus Hautzellen verwachsen, die im fünften Monat wieder aufgelöst wird. Dieser Vorgang ist für die Entwicklung des menschlichen Embryos an sich sinnlos und beruht auf der Wiederholung eines Prozesses, der in früheren Entwicklungsweisen der Säuger notwendig war, wie man heute noch bei Igel, Maulwurf, Beuteltieren und anderen Arten sehen kann, die ihre Jungen alle früh zur Welt bringen, so dass ein Verschluss der Sinnesorgane als Schutz vor äußeren Gefahren sinnvoll ist. Zog Darwin aus solchen und ähnlichen Beobachtungen in der frühen Phase seiner Lehre den Schluss, dass sämtliche Larvenformen in Urzeiten einmal selbständig existierten, so denkt man heute nicht mehr daran, solche Wesen mit ihren bizarren Formmerkmalen als Ahnengestalten zu deuten. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht Zeugnis für die Entwicklung einer Gruppe sein können. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die Durchforschung des Lebens der Gegenwart immer nur Indizien liefern kann für Geschehnisse der Vorzeit, von denen wir selbst natürlich keinerlei Kenntnis haben. Wie steht es also um die Sicherheit einer wissenschaftlichen Aussage auf diesem Gebiet? Im Bereich der nachprüfbaren Feststellungen herrscht eine relativ hohe Sicherheit. Zu diesen nachprüfbaren Feststellungen gehören etwa erbliche Veränderungen, welche die Fortpflanzungsweise und Entwicklungsart von Tieren betreffen. Was genau jedoch aus dem Festgestellten gefolgert werden kann, ist immer auch abhängig von der Denkweise, dem wissenschaftlichen Erfahrungsmaß und sogar von der politischen Situation. So kann man zum Beispiel von der Annahme ausgehen, dass wir durch die im Experiment zugänglichen Veränderungen der Entwicklungsweisen ein im Prinzip völlig geklärtes Bild der Evolution erhalten. Man kann jedoch auch die Auffassung vertreten, dass alle beobachteten Mutationen stets das Vorhandensein eines stabilen Erbgefüges voraussetzen und dass mutative Erbvorgänge niemals in der Lage sind, den Grundtypus völlig zu verwandeln, es sich also immer nur um Veränderungen an einem bestehenden und gefestigten Bauplan handelt. Folgt man dieser Ansicht, so kommt man zu dem Schluss, dass uns gewisse entscheidende Arten der Mutation heute noch gar nicht bekannt sind. Handelt es sich jedoch um Ermessensfragen, dann wird eine Diskussion schnell unmöglich, da sie nicht zu neuen Beweisen führt, sondern im Geist vorgefasster Positionen verharrt. Neues kann jedoch nur weiteres Forschen bringen.

© Produktionen des Südwestrundfunks 1954/1955/1968/1988/2008
Bookletredaktion: Frank Witzel
© Quartino GmbH, München 2008