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Sprache und Verstehen

Originalvorträge - Hans-Georg Gadamer

Autor: Hans-Georg Gadamer
Sprecher: Hans-Georg Gadamer
ca. 15 Stunden

Hans-Georg Gadamer (1900–2002) ist einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Er begründet eine universell gefasste Hermeneutik, indem er sie vom engen Begriff der Textauslegung löst und Wahrheit an das Verstehen bindet. Die vorliegende Sammlung dokumentiert Gadamers Vorträge über einen Zeitraum von fast fünfzig Jahren und ist mit fast fünfzehn Stunden die weitaus umfangreichste ihrer Art. Am Anfang unserer Kultur waren die Dichter, bald darauf traten die ersten Philosophen auf und mit ihnen begann das systematische Denken. Inzwischen verfügen wir über eine hoch entwickelte Technik und Wissenschaft, aber über den Sinn unseres Daseins vermögen sie uns keine Auskunft zu geben. Wir wissen, was uns gesund erhält und verstehen trotzdem nicht, wie sich ein gutes und glückliches Leben führen lässt. Gerade deshalb ist die Strahlkraft der Philosophie ungebrochen, weil sie sich den letzten Fragen stellt. Wer sich damit beschäftigen möchte, muss zunächst der Tradition nachgehen: der griechischen Philosophie und den Denkern, die Leitsätze geprägt haben.

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mdr figaro über Sprache und Verstehen:

Philosophieren im gesprochenen Wort
Das Gadamer-Hörbuch ist deshalb ein Paukenschlag des Philosophierens, weil fast 15 Stunden mündlicher Rede aus fast 50 Jahren versammelt sind. Gadamer sprach zu politischen Themen wie „Freiheit“, aber auch zu Randthemen oder über theoretische Bergriffe: Wie zum Beispiel Person, Experte, Verstehen, Wahrheit und Dichtung, Kunst des Feierns, Idealismus der Freiheit, Bild des Todes, das weise Maß oder Kunst und Technik.Nicht jeden Satz versteht man in seinen Vorträgen, aber man hört gern zu, was daran liegt, dass Gadamer ein kluger wie freudiger und in seinem Sprechen ein musikalischer Philosoph ist.
Konrad Lindner, mdr, figaro


1 | Studium Generale


Sendung: 30.06.1956, SDR Interviewer: Hans-Jürgen Weineck Laufzeit: 7:30

Inhalt: Im Studium Generale liegt ein Widerspruch, da es die Studenten erreichen soll, deren Interesse für das Allgemeine noch nicht geweckt ist. Dies kann nicht durch ein zusätzliches Angebot erreicht werden, sondern durch Professoren, die in ihren Fachvorträgen einen weiteren Horizont aufzeigen. Gleichzeitig sollte das Studium Generale erweitert werden, sodass die schon im Beruf stehenden Absolventen in Fortbildungskursen immer weiter an die Universität angebunden werden.

2 | Dichten und Deuten


Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Tübingen 1960 Sendung: 25.04.1960, SWF Laufzeit: 58:13

Inhalt: Der wesentliche Unterschied zwischen der dichterischen Sprache und der Sprache des Alltags liegt darin, dass es sich bei der alltäglichen Sprache um eine Art Münze handelt, die für etwas anderes steht, während die Sprache der Dichtung immer sie selbst ist. Natürlich gibt es Übergänge zwischen dichterisch gestaltetem und bloßem Wort. Spätestens seit Rilke und Benn dringt die Wissenschaft immer mehr in die Dichtung ein. Das Deuten von Dichtung ist aber kein Erklären oder Begreifen, sondern eher ein Verstehen und Auslegen. Deuten heißt in eine Richtung weisen, nicht auf ein Ziel, sondern in ein Offenes, das sich verschieden ausfüllen kann. Weder der Deutende noch der Dichter deutet, sondern beiden wird etwas innerhalb ihres Tuns gedeutet. Deuten ist weder Tun noch Meinen, sondern eine wirkliche Bestimmung im Sein selber. Das zu Deutende der Dichtung ist nicht das, was der Dichter meint, denn was Dichter meinen, ist um nichts dem überlegen, was andere Leute meinen. Dichtung ist voller Bedeutung nicht durch ein Meinen, sondern weil das Gemeinte da ist. Deuten ist Deuten des Deutens, in die Richtung weisen, in die man schon gewiesen ist.

3 | Kausalität in der Geschichte I


Sendung: 05.04.1964, SWF Laufzeit: 23:01

4 | Kausalität in der Geschichte II


Sendung: 12.04.1964, SWF Laufzeit: 26:41

Inhalt: Das, was wir allgemein Kausalität nennen, bezeichnete die Scholastik als causa efficiens, die Wirkursache. Sie ist eine der vier Artenursachen, mit denen Aristoteles die Frage nach dem Sein zu formulieren versuchte: Die Frage nach Stoff, Form, Bewegursache und Zweck. Kant rechnete die Kausalität zu den Stammbegriffen unseres Verstandes, die Erfahrung erst möglich machen. Begriffe erwachsen aber aus der Erfahrung und zeichnen den Gang der Erfahrung selbst vor. Mit jedem Begriff, den wir denken, ist eine Vorentscheidung gefallen, die nicht weiter geprüft wird. Sich dieser Vorentscheidung bewusst zu werden, heißt neue Fragen aufwerfen und neue Wege zur Lösung alter Rätsel einschlagen. Wenn wir die Kausalität nach solchen Gesichtspunkten untersuchen, kommen automatisch viele Vorurteile der Geschichte ans Licht, und wir stehen erneut vor der Frage, ob Kausalität Freiheit voraussetzt oder ausschließt.

5 | Grenzen des Expertentums


Sendung: 25.01.1967, SWF Laufzeit: 28:14

Inhalt: Bei der immer größeren Macht, die das Expertentum in unserer technologisierten Gesellschaft gewinnt, wird die Rhetorik nachhaltig unterschätzt. Das Allermeiste, was wir in unserem Leben für wahr halten und nach dem wir unser Leben einrichten, kann uns nicht bewiesen, sondern muss uns vermittelt werden. Das, was die Wissenschaft erkannt hat, muss überzeugen und verständlich gemacht werden. Das Amt des Philosophen ist es bewusst zu machen. Bewusst machen heißt dabei auch immer aufzeigen, dass die Dinge nicht selbstverständlich sind, sondern dass es immer auch Alternativen gibt. Ein Bewusstsein über die Vielfältigkeit der Möglichkeiten ist darüber hinaus notwendig, um die moralische und politische Folgerung der Toleranz abzuleiten.

6 | Die Stellung der Philosophie in der modernen Gesellschaft


Sendung: 26.02.1967, SWF Laufzeit: 28:49

Inhalt: Im Altertum gab es keinen Gegensatz zwischen Philosophie und Wissenschaft. Philosophia war der Inbegriff all dessen, was man überhaupt wissen konnte. Heute erwartet man von der Philosophie vor allem eine Synthese wissenschaftlicher Erkenntnis. Aber zeigt diese Synthese nicht immer eine Wissenschaft von gestern? Mittlerweile hat die Wissenschaft die Stelle der antiken Philosophie besetzt. Vielen scheint deshalb die Philosophie nur noch als Wissenschaftsphilosophie akzeptabel. Selbst die Geisteswissenschaften sollen sich den wissenschaftlichen Grundsätzen der Verifikation und Falsifikation unterordnen. Philosophie geht aber über das hinaus, was zu methodischer Verifikation fähig ist, weil sie die transzendentalen Bedingungen der Möglichkeiten aller Erfahrungen zur Devise hat. Die heutige Forderung jedoch lautet, dass auch philosophische Aussagen in ihrer logischen Konsistenz unanfechtbar zu sein haben. Also begnügen wir uns lieber mit trivialen Einsichten, die auf exakte Weise erworben sind, anstatt Tiefsinn ohne methodische Sicherung zu wagen.

7 | Tradition und Person


Sendung: 19.05.1968, SWF Laufzeit: 29:31

Inhalt: Unsere Erwartung, Geschichte verstehen zu können, fußt auf der Einsicht, dass es sich bei Geschichte nicht um ein verschlossenes Geheimnis des Weltenbaus handelt, sondern um die Taten und Leiden menschlicher Geschöpfe. Aber unsere geschichtliche Erfahrung lehrt uns auch den Widerstreit zwischen dem einzelnen Menschen und dem Lauf der Dinge. Dem Einzelnen ist daher die Erfahrung der Geschichte auch Erfahrung einer Grenzsituation, in der er mit seiner Planung nicht weiterkommt. Ganze Generationen konnten ihre Geschichte nicht autonom planen, da sie für die Taten ihrer Väter büßen mussten, obwohl sie nicht für sie verantwortlich waren. Die Zweifel an der Rolle, die der Einzelne in der Geschichte zu spielen vermag, verstärken sich in der modernen industrialisierten Gesellschaft immer mehr. Es scheint nicht länger vom Einzelnen abzuhängen, was im Ganzen geschieht. Der Einzelne ist ein Rädchen in einer großen Maschine, das zwar wichtig, jedoch austauschbar ist. Um Größe zu erkennen, braucht man jedoch auch die richtige Perspektive, denn, wie Hegel schon sagte, liegt es nicht am Helden, dass er in den Augen seines Kammerdieners kein Held ist, sondern am Kammerdiener.

8 | Die Einmaligkeit der Person


Sendung: 26.05.1968, SWF Laufzeit: 28:04

Inhalt: Einmaligkeit ist vor allem eine Erfahrung von Zeitlichkeit. So sprechen wir vom Augenblick, der nicht wiederkehrt. Sagt man Ich, so spricht man vom Geheimnis der eigenen Endlichkeit. Worin aber liegt in Bezug auf diese Endlichkeit die Größe einer Person? Größe ist die Gunst, die einem Leben gewährt wird. Dabei wird die Person immer durch die Tradition geprägt, in der sie steht. Die Person profiliert sich nicht in einer freien Entfaltung ins Grenzenlose, sondern in einem Spielraum von vorgegebenen Bildungsmöglichkeiten. Dabei ist auch die Opposition der Person gegen die Tradition von der Tradition selbst bestimmt, denn niemand kann aus sich selbst leben und eine Zukunft von einem imaginären Nullpunkt aus entwerfen.

9 | Sprache und Verstehen I


Sendung: 22.03.1970, SWF Laufzeit: 29:05

10 | Sprache und Verstehen II


Sendung: 30.03.1970, SWF Laufzeit: 29:10

Inhalt: Die moderne Wissenschaft, die im 17. Jahrhundert entstand, beruht auf dem Gedanken der Methode und des methodischen Erkenntnisfortschritts. Sie hat unsere Welt auf einzigartige Weise verändert, indem sie eine einzige Form des Zugangs zur Welt privilegierte. Ein Zugang, der weder der einzig mögliche noch der umfassendste ist. Es ist der Zugang der methodischen Isolierung aller Faktoren und bewusster Befragung der Natur, etwa im Experiment. Darin lag die Leistung Galileis, der in seinem gedachten Vakuum einen Zustand herstellte, der so in der Natur gar nicht vorkommt. Aber nur solche Isolationen ermöglichen mathematisch exakte Beschreibungen der Faktoren und damit wiederum den Eingriff des Menschen in die Natur. Die von Galilei so aufgebaute Mechanik ist die Mutter unserer technischen Zivilisation von heute. Während die Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts vor allem versuchte, das metaphysische Allwissen mit dieser neuen Wissenschaft zu vereinen, gelang es Kant, die Vernunft kritisch einzuschränken. Indem Kant zeigte, dass ohne Annahme der Freiheit die praktische Vernunft des Menschen und dessen moralischsittliches Dasein überhaupt nicht gedacht werden kann, beeinflusste er das philosophische Denken der folgenden Zeit. In allem Verstehen liegt aber eine potentielle Sprachbezogenheit, da sich das gemeinsame Meinen im Miteinander-Sprechen aufbaut, um in der erzielten sozialen Übereinstimmung selbstverständlich zu werden.

11 | Die Unfähigkeit zum Gespräch


Sendung: 08.04.1971, SDR Laufzeit: 32:18

Inhalt: Die Kunst des Gesprächs scheint zu verschwinden. Zunehmend ist eine Monologisierung menschlichen Verhaltens zu beobachten, die mit der wissenschaftlich-technischen Gesellschaft aber auch der zunehmenden Vereinsamung der modernen Welt zusammenhängt. Doch wirkliche Sprache, das, was den Menschen auszeichnet, findet sich nur im Gespräch. Nicht ohne Grund hat Platon seine Philosophie in geschriebenen Dialogen mitgeteilt. Der Dialog verwirklicht ein Prinzip der Wahrheit, da das Wort nur durch die Aufnahme im anderen und dessen Zustimmung seine Bewährung findet, während die Konsequenz des Denkens, die nicht zugleich ein Mitgehen des einen mit den Gedanken des anderen ist, ohne zwingende Wahrheit bleibt. Wie jemand die Welt erfährt, bleibt sein eigenstes Geheimnis, genauso wie unsere Antriebe und Interessen. Auch gegenüber den Verblendungen des Einzelnen bleibt die Vernunft ohnmächtig. So bedeutet das Gespräch mit dem anderen eine Ausweitung unserer Vereinzelung und eine Erprobung möglicher Gemeinsamkeit.

12 | Wahrheit und Dichtung


Sendung: 18.04.1971, SDR Laufzeit: 29:12

Inhalt: Schon bei Goethe waren diese beiden Begriffe kein bloßes Gegensatzpaar, denn es geht bei ihnen auch immer um den Wert der Dichtung für die Wahrheit, so wie er noch in der Antike ganz selbstverständlich war. Dabei verleiht die Sprache der Dichtung ihr ganz spezifisches Verhältnis zur Wahrheit. Sprachkraft entscheidet nicht nur über Gelingen und Misslingen der Dichtung, sondern auch über ihren Wahrheitsgehalt. Zwar heißt es ebenfalls seit der Antike, dass die Dichter viel lügen, doch widerspricht das nicht dem Wahrheitsanspruch von Dichtung, denn jemand der lügt, möchte, dass man ihm glaubt. Das Gedicht aber steht dem Dichtenden genauso abgelöst gegenüber wie dem Hörenden, denn es ist ganz Wort. Ein Gedicht, das uns mit seiner dichterischen Leistung überzeugt, vermittelt uns auch gleichzeitig das, was es sagt. Die Wahrheit einer Dichtung ähnelt dem religiösen Text, der Zusage und Versprechen ist, weil der, der ihn hört, ihm zusagt. Das dichterische Wort ist eine Aussage, die sich selbst erfüllt. Wir suchen nicht länger in der Welt nach einer Bestätigung, sondern sehen Dichtung als sich selbst.

13 | Wie weit schreibt Sprache das Denken vor?


Sendung: 18.02.1973, SDR Laufzeit: 27:54

Inhalt: Wir können alles zur Sprache bringen und versuchen, uns über alles zu verständigen. Es gibt die These, dass Sprachen Weltbilder sind, aus denen man nicht heraustreten kann. Die eigentliche Schöpfungstat Gottes, so sagt Nietzsche, war es, die Grammatik zu schaffen. Denken wir also nur das aus und zu Ende, was sich vor vielen tausend Jahren einmal als Sprach- und Denkstruktur entwickelt hat? Werden nicht gleichzeitig die außersprachlichen Erfahrungsweisen, wie etwa Macht oder Arbeit, unterschätzt? Doch wir verdanken diese Erfahrungen der Sprache und sind nicht durch die Sprache am Erfahren gehindert. Natürlich gibt es vorsprachliche Erfahrungen, es gibt die Gesten und die von der Wissenschaft aufgebaute Welt mit ihrer Symbolsprache. Aber all diese Formen der menschlichen Selbstdarstellung müssen immer wieder in das innere Gespräch der Seele mit sich selbst hineingeholt werden, das wir Denken nennen.

14 | Die Kunst des Feierns


Sendung: 05.12.1976, SWF Sprecher: Walter Hilsbrecher Laufzeit: 28:52

Inhalt: So wie die Arbeitszeit ein bestimmter Zeitraum ist, der durch Arbeit ausgefüllt ist, denkt man bei der Freizeit zuerst an ihre Leere, die durch abermals geplante Gestaltung ausgefüllt werden soll. Freizeit ist damit das Gegenstück zur Arbeitszeit und weit entfernt von der Kunst des Feierns. Im Feiern liegt immer ein intentionales Moment, denn wir meinen etwas Bestimmtes oder einen Bestimmten, wenn wir feiern. Aber ist der Akt des Feierns deshalb ein Akt des Bewusstseins? Feiern heißt in erster Linie, sich gemeinsam versammeln. Ist eine Feier nicht gelungen, so fehlt ihr die Gemeinsamkeit, das Beisammensein. Massenveranstaltungen nötigen den Einzelnen in eine teilnahmslose Teilnahme hinein. Das Feiern von Festen besteht im Versammeltsein auf Gemeinsames hin und verleiht der Gemeinsamkeit sichtbare Darstellung. Dass das Feiern heute nicht mehr recht gelingen will, liegt an einem falschen Bewusstsein, das alles auf pragmatische Zwecke oder gar ökonomische Interessen zu beziehen versucht und in dem ein falsches Verhältnis zur Zeit liegt. Indem wir das Gegenwärtige als Mittel ansehen, sehen wir über es hinweg. Man begeht ein Fest jedoch wie man ein Gelände begeht, nicht um irgendwohin zu gelangen, sondern um allseitig da zu sein und das, was da ist, zu erfassen.

15 | Hegelpreisverleihung der Stadt Stuttgart 1979


Sendung: 15.06.1979, SDR Laufzeit: 38:29

Inhalt: Die Wahrheit einer einzelnen Aussage ist nicht an ihrem bloßen Verhältnis von Richtigkeit und Zutreffen zu messen und auch nicht allein von dem Zusammenhang abhängig, in dem sie steht, sondern an die Person gebunden, die sie trifft. Denn der Sinn einer Aussage erschöpft sich nicht in dem Gesagten, sondern lässt sich nur aufschließen, wenn man Motivation und Implikation miteinbezieht. Schon Hegel erkannte, dass die Form des Satzes nicht geeignet ist spekulative Wahrheiten auszudrücken. Doch musste diese Einsicht erst gegen ihn selbst und seinen Methodenzwang durchgesetzt und in der Einheit von Dialektik und Dialog wiederentdeckt werden. Denn hier taucht das motivierende Interesse auf, das aller Methode vorausgeht, das Geheimnis der Frage. Es wird unabweisbar, denn man versteht einen Satz nur, wenn man ihn als Antwort auf eine Frage versteht. Sprache ist dabei nicht allein ein Werkzeug, sondern das Element, in dem wir leben und dem wir nicht entkommen können. Was uns aber umgibt, ist nicht Sprache, sondern das Gesprochene.

16 | Hegel – die französische Revolution und der Idealismus der Freiheit


Zum 150. Todestag von G.F.W. Hegel Sendung: 25.09.1981, SDR Laufzeit: 53:49

Inhalt: Hegel beschreibt den Sieg der Aufklärung, indem er den Begriff der Nützlichkeit analysiert. Nützlich heißt, dass etwas nicht in sich selbst, sondern für anderes ist, etwa wie ein Werkzeug, das nicht für sich selbst ist, sondern für das, was es leistet. Das Werkzeug ist kein Gegenstand, denn es widersteht dem nicht, der es handhabt. Wenn ich etwas als nützlich ansehe, dann hat es seinen Widerstand aufgegeben. Hegel hat damit einerseits erkannt, dass diese Zweckrationalität dem Ideal der Aufklärung entspricht, andererseits aber auch gezeigt, dass jeder andere Mensch nur als ein Mittel angesehen wird, wenn uns nichts anderes als diese freie Wahl des Nützlichen beherrscht. In dieser Weise entsteht die Schreckensherrschaft und mit ihr die Selbstliquidierung der Revolution. Hegel deutet auf die objektive Freiheit, die sich aus der subjektiven ergibt, und weist auf den Geist hin, der uns verbindet. Denn erst dort ist eine Gemeinschaft möglich, wo alle füreinander stehen und alle gleichermaßen frei sind.

17 | Erfahrungen mit Hölderlin


17. Jahreshauptversammlung der Hölderlin-Gesellschaft Sendung: 08.06.1982, SWF Laufzeit: 12:29

Inhalt: Hölderlin verkörpert das, was man das Leiden am Suchen des Ausdrucks nennen könnte. Kein zweiter Dichter hat immer wieder mit einer solchen Anstrengung nach dem Wort gesucht und diese Suche immer wieder abgebrochen, weil er keinen Ausdruck für das fand, was er sagen wollte. Sprechen war für Hölderlin Suchen des Wortes, das Finden des Wortes hingegen immer schon eine Beschränkung. Denn es ist unendlich, was einem zu sagen nicht gelingt. Aber gerade das, was einem zu sagen nicht gelingt, kann im anderen widerklingen.

18 | Wandlung des Todesbildes


Sendung: 10.10.1983, SDR Laufzeit: 28:12

Inhalt: Nach der griechischen Aufklärung in der Sophistik und der neuzeitlichen Aufklärung im 18. Jahrhundert, leben wir heute in einem Zeitalter der dritten Aufklärung, die sämtliche Bereiche der Gesellschaft miteinschließt. Diese Aufklärung hat eine Entmythologisierung des Todes herbeigeführt. Grundlage für diese Entmythologisierung ist jedoch eine Entmythologisierung des Lebens, da wir keine neuen Erkenntnisse über den Tod haben, sondern allein über das Leben. Gleichzeitig wird das Sterben aus der häuslichen Gemeinschaft herausgelöst und innerhalb der Kliniken in einen technischen Betrieb industrieller Produktion eingefügt. Dabei leitete der Umgang mit dem Sterben einst die Menschwerdung ein, denn die Bestattungskultur ist eines der frühsten Kennzeichen der Menschheitsgeschichte, die bekunden, dass die endgültige Abwesenheit des Toten von den Hinterbliebenen nicht angenommen werden kann.

19 | Die Idee der Universität gestern, heute, morgen


Festvortrag Anlässlich der 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg Sendung: 24.01.1986, SDR Laufzeit: 51:40

Inhalt: Eine dreifache Entfremdung hat die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden heimgesucht: Einmal die offenkundige Zerstörung des selbstverständlichen Verhältnisses zwischen Professor und Studenten, zweitens die Entfremdung der Wissenschaften gegeneinander und drittens die Selbstentfremdung und die Entfremdung gegenüber der Gesellschaft. Die akademische Welt sollte sich nicht länger der Illusion hingeben, dass sie die Gelehrtenrepublik ist, die mit den alten Privilegien des Mittelalters ein Ideal der akademischen Freiheit verwirklicht. Stattdessen muss die akademische Freiheit neu gefunden werden. Ein freies Denken, das an keine personellen, emotionalen oder psychologischen Bedingtheiten stößt, gibt es überhaupt nicht. Bürokratisierte Lehr- und Lernsysteme beherrschen mittlerweile die Szene, weshalb es zu einer eigenständigen Aufgabe wird, neue Freiräume zu finden. Das ist die Aufgabe unseres menschlichen Lebens überhaupt: Freiräume sehen zu können. In der Forschung heißt der Freiraum, die Frage zu finden. Denn in den offenen Fragen liegen auch immer die Gestaltungsmöglichkeiten unseres eigenen Lebens. Damit bleibt das kleine Universum der Universität Vorbild für das große Universum der Gesellschaft, die lernen muss, neue Solidaritäten aufzubauen.

20 | Anthropologische Grundlagen der Freiheit des Menschen


Verleihung des Hanns-Martin-Schleyer-Preises Sendung: 15.05.1987, SDR Laufzeit: 29:02

Inhalt: Herr kann nur einer heißen, der einerseits von anderen anerkannt, aber gleichzeitig von niemandem abhängig ist. Auch nicht von Trieben, die ihn beherrschen, selbst nicht von der Angst vor dem Tod. Freiheit hat also damit zu tun, dass der Mensch den Kreis durchbrechen kann, den die Natur um die Lebewesen gezogen hat. Der Mensch versucht dabei durch eine bestimmte Herrschaftsordnung dem Ziel der Freiheit näher zu kommen. Herrschaft ermöglicht aber immer nur eine eingeschränkte Freiheit, weshalb durch Gewaltenteilung diese Herrschaft einzuschränken versucht wird. Der wahre Abgrund der Freiheit ist aber die Wahlfreiheit des Menschen, die ihn statt des Guten auch das Böse tun lässt, wobei er dieses Böse für das Gute hält, denn schon Sokrates sagte: Niemand tut freiwillig das Schlechte. Doch gerade weil im Wesen der Macht das Böse lauert, besteht eine der wesentlichen Aufgaben der menschlichen Gemeinschaft in der Teilhabe am Gemeinsamen, was bedeutet, dass man gerade die Andersdenkenden an die Gemeinsamkeiten der Menschen und ihre zukünftigen Aufgaben erinnert.

21 | Kairos. Ein Diskurs über die Gunst des Augenblicks und das weise Maß


Sendung: 29.12.1989, SDR Interviewer: Bernd H. Stappert Laufzeit: 53:18

Inhalt: Immer wieder hat sich das abendländische Denken mit dem Begriff der Zeit beschäftigt. Die Problematik des Zeitbegriffs verdichtet sich besonders im Augenblick, der sich dem beschreibenden Zugriff entzieht, da er entweder schon vorbei oder noch nicht ist. Heidegger erfand für die Auseinandersetzung mit dem Moment den Begriff der Kairologie, während sich Kierkegaard und in seiner Nachfolge Tillich eingehend mit dem Augenblick als religiöser Erfahrung beschäftigten, die den Menschen zu den existentiellen Grundfragen bringt. Aber auch in einer Welt der Wissenschaft hat der Augenblick seine Bedeutung. Aristoteles nannte die Zeit das Gezählte an der Bewegung, während bei Newton nur noch Funktionszusammenhänge auftauchen, denen das Seiende in seiner Bewegtheit fehlt. Kairos ist aber auch, um mit Hegel zu sprechen, die gehemmte Begierde, und somit das richtige Maß. Der Kairos zeigt uns in seiner Unverfügbarkeit, dass Beherrschung der Welt und Materie nicht alles ist. Dem Lauf der Zeit ausgeliefert, erlebt der Mensch das Ende der Zeit als Tod, da er nicht gelernt hat, dieses Ende mit dem Anfang zu verknüpfen.

22 | Die Unhintergehbarkeit der Kunst. Das Kunstwerk im Zeitalter Seiner ästhetischen Kommunizierbarkeit


Sendung: 01.04.1994, SWF Laufzeit: 28:55

Inhalt: Um nicht missverstanden zu werden, musste man bis zum Ende des 18. Jahrhunderts notwendigerweise von den Schönen Künsten sprechen. Die Schönen Künste bildeten dabei den Gegensatz zu den Nützlichen Künsten, da das Schöne zweckfrei ist und nicht nach dem Warum fragt. Was aber ist in den Leerraum eingetreten, seit sich die Kunst von selbst versteht? Die Kunst ist ein Jenseits der Natur. Etwas, in dem Zeit ihre Hinfälligkeit verliert, weil wir stehen bleiben und im Anblick innehalten. Walter Benjamin hat gezeigt, dass zur Kunst die Aura gehört und dass durch neue gesellschaftliche Entwicklungen sowie die Möglichkeiten der Reproduzierbarkeit diese Aura verloren geht. Doch gleichzeitig erzieht dieses Zeitalter der Reproduktion zu einer neuen Bewahrung der Aura, da wir den Wert des Nicht-Reproduzierbaren im Vorübergehenden, wie etwa einer musikalischen Darbietung oder eines Gesprächs, neu erkennen.

23 | Erziehung in der industriellen Revolution


Sendung: 12.02.1995, SWF Laufzeit: 48:58

Inhalt: Wilhelm Dilthey hat von dem Strukturzusammenhang gesprochen, weil er der Struktur vor der Kausalforschung den Vorrang gab. Mit dem Begriff Strukturwandel gestehen wir ein, eigentlich nicht zu wissen, wie und weshalb sich etwas wandelt. Die Struktur unserer Epoche ist die Revolution der Industriewelt. Wir wissen aber nicht, wie sich das Schicksal der Menschheit unter dem Zeichen dieses Weges erweisen wird, denn es liegt im Wesen der Wirtschaft, das Prinzip des Fortschritts zu vertreten, das zunächst Fortschritt des Marktwerts heißt. Die Kontinuität der Generationen nimmt ab, und auch die Rolle der Familie wird schwächer. An die Stelle der autoritären tritt daher die gegenseitige Erziehung, in der nicht die Vermittlung von Wissensstoffen Vorrang hat, sondern das Erlernen von Solidarität in seinen vielen Spielformen. Doch ist bei jeder gesellschaftlichen Veränderung an den Einwand des Aristoteles zu denken, der feststellte: Jede Gesetzesänderung steht vor der Frage, ob sie sehr viel besser ist als die alte, denn wenn sie nicht sehr viel besser ist, dann ist sie schlechter – weil sie gegen natürliche Beharrungswünsche und Gewohnheiten der Menschen verstößt.

24 | Als Bürger in dieser Stadt


Sendung: 09.03.1996, SDR Laufzeit: 53:08

Inhalt: Bürger sind Menschen, die in einer Burg leben. Die Burg und mit ihr das Haus sind in Deutschland Grundlage der Stadt, im Gegensatz etwa zu Italien, wo der Corso, auf dem das Leben stattfindet, Ursprung der Ansiedlung ist. War der Bürger einst derjenige, der seine Nachbarn kennt, so nimmt die Anonymisierung der Städte mit der Technologisierung zu. Die Partner und Nachbarn, mit denen wir es zu tun haben, sind oft gar nicht mehr leibhaftig da, sondern sprechen zu uns aus dem Fernsehen oder dem Telefon. Dabei ist ein wirkliches Gespräch etwas, das sich der Organisation entzieht. Vielmehr gerät man in ein Gespräch, verstrickt sich sogar manchmal darin, wünscht aber immer, wenn es gelingt, eine Fortsetzung. Denn gerade durch das Anderssein wird man im Gespräch für den anderen produktiv.

25 | Zwischen Gedanke und Wort. Eine Philosophie des Hörens


Sendung: 14.04.1996, SWF Laufzeit: 29:16

Inhalt: Das Hören hat sich gegen einen Primat des Sehens zu verteidigen, dieses Vermächtnis unserer humanistisch getragenen Kultur, die sogenannte Okularität der Griechen. Wer sieht, sieht die meisten Unterschiede, doch wer hört, erweitert seinen Horizont auf alles, was man verstehen und damit denken kann. Auch wird er beim Vorgang des Hörens selbst miteinbezogen, denn die Stimme nennt den Namen und ruft einen. In der Stoa unterschied man dabei zwischen der inneren Stimme und dem herausgesagten Wort. Indem ich es aussage, ist es nicht mehr mir, so wie etwa meine Gedanken. Hören ist dabei immer das Hören auf etwas, denn jedes Wort verlangt nach der Antwort. Es handelt sich bei der Frage jedoch nicht um die Gängelung des schon vorher festgelegten pädagogischen Wissens. Die wirkliche Frage ist vielmehr eine, die ich selbst nicht beantworten kann, sodass ich den anderen in ein Gespräch hineinziehe und mir erst durch dieses Gespräch ein Urteil über sein Wissen bilden kann.

26 | Kunst im Zeitalter der Technik


Sendung: 27.08.2000, SWR Laufzeit: 42:06

Inhalt: Die oft antagonistisch gebrauchten Begriffe Kunst und Technik sind relativ jung. Die Kunst ist dabei weder das Naturschöne noch eine Gebrauchsfertigkeit, während Technik das ist, was keine Genialität benötigt, sondern erlernbar ist. Im 18. Jahrhundert wurde der Begriff der Kunst zu einem fast mythischen Ausdruck, sodass Hegel etwa das Naturschöne als Reflex des Kunstschönen bezeichnen konnte. Es war die Zeit der Aufklärung, in der die Religion in eine neue Auseinandersetzung geriet, da die Französische Revolution die Vernunft als neue Göttin verehrte. Heute kehren wir an einen gewissen Anfang zurück, wenn wir von der Kunst sprechen, da wir in ihr noch die Ahnung einer heilen Welt verspüren. Denn selbst die dargestellte Grausamkeit, wie etwa in Picassos Guernica, ist in ihrer Darstellung zu einem Bleiben gekommen, das uns verweilen lässt.

© Produktionen des Südwestrundfunks 2011
Bookletredaktion: Frank Witzel
© Quartino GmbH, München 2011